Was sind da für archaische Bilder am Werk, wenn ich mich für den Versuch schäme, auf der Wanderung L. zu einem Schäferstündchen zu überreden, was für uralte Kategorien männlichen Rumkriegenwollens und weiblicher Sprödigkeit? Haben wir das nicht alles überwunden geglaubt? In solchen Momenten zeigt sich, nichts ist überwunden, bei mir jedenfalls nicht. Ich schmolle und glaube im Ernst, L. fällt es leichter zu verzichten. Ein weites Bachtal, silbernes Plätschern in der Mitte, von allen Seiten ferne Böschungen, blanke, grüne Wiesen, die die Hochsitze am Waldrand festpinnen. Jeder Winkel einsehbar, zugegeben, und doch: Es verlockt, unter einer Weide oder einem Hasel eine kaum wirksame Deckung zu suchen und sich dort nackig zu machen, vor der Sonne, dem Bach, dem ganzen wannenweise niederstürzenden Tageslicht, meinetwegen auch den Menschen, wenn welche kommen und starren sollten, in diesen Augenblicken ist mir alles egal, ich will L.s Schoß, komme was oder wer da wolle und Augen im Kopf habe, am Ende ist da vielleicht sogar ein gewisser Reiz bei dem Gedanken, man könnte uns sehen, in flagranti actu. Es ist ein warmer Frühlingstag, der Lerchensporn blüht und die Buschwindröschen, wer will es zwei Menschenkindern übellaunig mißgönnen, daß sie sich dem Frühlingstreiben willig anschließen, und seien sie auch nicht mehr die jüngsten. In actu ist sowieso jeder hübsch, meine ich. Und wen es stört, der kann ja weggucken und weitergehen. Die Wahrscheinlichkeit, daß uns hier wer kennt und boshaft unseren Partnern verpetzt, ist auch verschwindend gering. Also? Nein, L. ziert sich. Und ich falle in alte Muster, schmolle, kriege schlechte Laune — und unterschätze L.s eigenes Begehren, L.s eigene Frühlingsgefühle, nicht minder zielstrebig als meine. Wie sich zeigt, als wir eine halbe Stunde später — L. stumm mich Schweigenden, Schmollenden, Übellaunigen ertragend — an einem Fleckchen vorbeikommen, der ihr mehr zusagt, der ihr sozusagen ins Auge springt und ihrerseits ihre Phantasie in Schwung bringt.
Ich möchte nicht, daß du dich gedrängt fühlst, entgegne ich, als sie mich fragt, da oben? Und da bin ich schon wieder in der hergebrachten Rolle, während L., Ich habe gerade einen Vorschlag gemacht. Klingt nicht so, als würde ich nur nachgeben, oder? während meine famose Liebhaberin also auf ihrem eigenen Begehren besteht, zu meinem Glück, ohne dieses ihr Begehren auch nur im Geringsten problematisch zu finden oder in Frage zu stellen. — Inzwischen, gefällt mir zu denken, sind es die Männer, die sich in ihren komischen Rollenbildern verheddern und Frauen nichts zutrauen wollen. Dabei gibt es da gar nicht so viel zu verstehen. Oder was soll man davon halten, daß L. sich von meinem Begehren ebenso geschmeichelt fühlt wie ich mich von dem ihren? Glücklicherweise sind wir alt genug, dieses Begehren voreinander zuzugeben. Darf man davon ausgehen, vom Begehren nämlich, und das dürfen wir ja, finden sich auch stets Ort und Zeit. Man, das heißt, ich, muß lernen, es nicht länger anzuzweifeln. Man muß lernen, das Begehren ernst zu nehmen, das eigene nicht weniger als das des andern.