Keine Zeit für Helden

Vielleicht fällt es uns auch deshalb so schwer, mit dem Virus umzugehen, weil es unsere liebsten Erzählungen durchstreicht. Der Feuerwehrmann, der in ein brennendes Haus steigt, um Eingeschlossene zu retten; Sicherheitskräfte, die eine zu schützenden Person mit dem eigenen Körper decken; der mutige Ersthelfer, der ohne zu zögern ins eisige Wasser springt, um ein ertrinkendes Kind herauszuziehen; oder auch die Wildsau, die ihre Jungen tapfer vor dem Löwen, die Löwin, die die ihren vor den Jägern verteidigt — das Motiv ist so alt wie die westliche Literatur, und nie sind diese Helden, in menschlicher oder tierischer Gestalt, bescheuerte Spinner, in diesen Erzählungen ist der Einsatz des eigenen Lebens zur Rettung anderer immer positiv bewertet — selbst da noch, wo der Retter scheitert. Ein solches Heldentum ist individuell, es hat einen Namen und ein Gesicht in den Zeitungen.

Was war Heldenmut in Zeiten der Pestilenz? Er bestand in der aufopferungsvollen Pflege der Kranken und war, aus heutiger epidemiologischer Sicht und in Anbetracht der damaligen Unkenntnis des Ansteckungsweges, grundverkehrt. Die Pfleger pflegten und steckten sich pflegend selbst an — um der Seuche daraufhin bei der Ausbreitung behilflich zu sein. Der pseudoheilige Rochus — die Geschichte schweigt davon, wie viele weitere Menschen er mit seiner Pestbeule angesteckt haben mag.

Das Virus zwingt zur Feigheit. Wer feige ist, ist gut; wer sich selbst schützt, schützt andere. Feigheit ist die neue Leittugend, das neue Heldentum. Aber was für alberne Helden bringt es hervor? Todesverachtung heißt unter den Regeln, die das Virus aufstellt, Menschenverachtung, und wer mutig ist, rettet nicht, sondern gefährdet andere. Wir würden uns gerne mutig als Teil der Lösung verstehen, dabei müssen wir lernen, uns als Teil des Problems zu sehen. Das läuft konträr zu all unseren Lieblingserzählungen, ist langweilig und empörend, verspottet die Intuition und kehrt alle Werte, die wir rund um Gefahr und Gefährlichkeit errichtet haben, um. Wir sind keine Helden, wir sind selbst die Gefahr. Wir selbst sind das Böse, seine Träger, seine Knechte.

Unser gewöhnliches Vokabular in Antwort auf Gefahr ist: trotzen, bekämpfen, Widerstand leisten. Gerade hinstehen. Schultern breit. Dem Gegner ins Gesicht lachen. Zwar wird jedem Ersthelfer im Kurs der Leitsatz eingebleut, ein toter Helfer ist ein schlechter Helfer; aber die guten Geschichten gehen anders, da finden wir Absperren und Warndreiecke eher langweilig. In den Geschichten rennen wir einfach, unserem besten inneren Befehl folgend, ins brennende Haus, verachten wir den Tod und bleiben trotzdem am Leben. Das Virus aber verbietet uns nicht nur unsere besten Instinkte (bei Bedrohung zusammenzurücken und Trost in der Nähe zu suchen); es hat auch leider keine guten Geschichten für uns, keine Erzählungen, deren Helden wir gern selber wären.

0 Gedanken zu „Keine Zeit für Helden

  1. Tatsächlich habe ich mir schon sehr ähnliche Gedanken in anderen, meinen Worten gemacht.

    (Ich bin gespannt, wie sich die Pandemie in der Literatur niederschlagen wird. Und was wir daraus lernen werden.)

  2. Warum wurde Ignaz Semmelweis von der Ärzteschaft seiner Zeit angefeindet, seine Erkenntnisse zur Rolle der Hygiene bei der Entstehung des Kindbettfiebers zeit seines Lebens (er wurde 47 Jahre alt und starb unter ungeklärten Umständen) nicht anerkannt? Weil diese Anerkennung das Eingeständnis bedeutet hätte, daß Ärzte die Ursache des Kindbettfiebers gewesen wären und damit den elenden Tod zahlloser Mütter herbeigeführt hätten — sie hätten sich plötzlich als Teil des Problems sehen müssen, nicht als Retter, eine Einsicht, die für die Halbgötter in Weiß so unannehmbar war, daß sie lieber behaupteten, was Semmelweis vermeintlich herausgefunden habe, sei falsch. Heute würde man wohl von fake news oder alternative facts reden.

  3. Es ist aber ja nicht das Virus, das feige macht und sich gegen unsere besten Instinkte richtet. Es ist die Corona-Politik, die uns das aufzuwingen versucht und sie hat – leider – Erfolg damit. Es kann ja inzwischen jeder nachlesen, dass Sars-Cov 2 nicht gefährlicher ist als die Influenza (die ja wundersamerweise plötzlich verschwunden ist) – es sei denn, man glaube, die etablierten Medien würden die Wahrheit verbreiten. Bei der Influenza aber durften und dürfen wir sicher auch zukünftig weiter zu unseren positiven Instinkten stehen, nie wurden wir eingesperrt – die Alten in den Heimen starben stiller als jetzt, aber sie starben auch und auch heute werden sie nicht geschützt, stattdessen werden die Gesunden eingesperrt und die mittelständische Wirtschaft ins Verderben gestürzt, viele Menschen verlieren ihren Job, Kinder werden gequält, aber ich will mich hier nicht in Rage reden. Ich weiß, dass ich eine Minderheitenmeinung vertrete, bei mir liest auch kaum noch jemand, und zögere, überhaupt noch irgendwo zu kommentieren, aber manchmal tue ich es doch. Alles Gute für euch.

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