… aber diese Fremden sind nicht von hier (8), Möhs und Böhs

(In dieser Reihe kommentiere ich einen Fragebogen zum Thema Rassismus, den die Online-Ausgabe von ZEIT Campus vor ein paar Monaten herausgegeben hat.)

In der fünften oder sechsten Klasse verfielen meine Mitschüler und ich auf ein albernes Spiel, in welchem Gruppen von Schülern einander überfielen und erschreckten, indem sie, kleinen Satyrn nicht unähnlich, blökende Laute ausstießen, die sich ungefähr als möh bzw. böh transkribieren lassen. Anhand des jeweiligen Schlachtrufs – böh oder möh – hatten sich bald zwei Lager etabliert, die einander bekriegten und Mitglieder der jeweils anderen Gruppe mit Salven ihres eigenen Rufs – böh! oder möh! – überzogen. Man kommt als Kind auf seltsame Dinge, wenn man kein Smartphone besitzt. Jedenfalls bildete sich, fast unmittelbar nachdem sich das Spiel in der Klasse ausgebreitet hatte, eine starke Identifikation der Mitglieder beider Lager mit ihrem jeweiligen Satyrruf aus. Man war, man fühlte sich als Möh (oder Böh), und man war stolz darauf, ein Böh (oder Möh) zu sein und nicht etwa einer von denen, diesen Möhs (oder Böhs). Das ganze war durchaus spielerisch und unernst, und die scharfe Trennlinie zwischen Lagern des einen oder des anderen Satyrrufs augenblicks vergessen, sobald es um andere, interessantere Dinge ging, auch dauerte diese Phase nur ein paar Tage. Was hier ein Spiel war und von uns selbst nicht ganz ernst gemeint, hätte aber in einem anderen Kontext vielleicht gravierende Folgen haben können. Das Gefühl der Identität (ich bin ein Möh, und Fluch allen Böhs!) und Identifikation (wir Böhs stehen zusammen gegen alle Möhs der Welt) war auf eine Weise überzeugend – es fühlte sich einfach „richtig“ an, ein Möh zu sein –, die weit über die Albernheit des Spiels hinausging und eigentlich einen ernsten Grund aufweist: Identifikation und Exklusion sind anhand der absurdesten (auch rein fiktiver) Merkmale möglich, wenn nicht gar etwas, das sich in und zwischen Gruppen zwangsläufig einstellt. Es gibt im Menschen, das zeigt eine Reihe von Experimenten des Psychologen Henri Tajfel, den Wunsch nach der Dominanz der eigenen Gruppe, und zwar unabhängig, wir wir zu den einzelnen Mitgliedern dieser Gruppe stehen. Fußballfans wissen genau, wovon die Rede ist. Aus der Beliebigkeit der Merkmale, nach denen sich im Experiment nach Dominanz strebende Gruppen bilden lassen, kann der Schluß gezogen werden, und nun liebe Autoren von ZEIT-Campus, aufgepaßt: Daß Körpermerkmale („Rassen“) für Diskriminierungsmechanismen psychologisch irrelevant sind. Warum dann soviel Aufhebens um Hautfarben? Weil „Rassen“ Jahrzehntausende lang durch Ozeane, Gebirge, Wüsten voneinander getrennt gewesen sind und keinen Kontakt miteinander hatten. Dominanzstreben zwischen Gruppen spielte sich daher stets innerhalb von nach Körpermerkmalen ähnlichen Populationen ab. Ausschlaggebend für Gruppenbildungen sind daher nicht Körpermerkmale gewesen, sondern Verbindungen anderen Typs: Nachbarschaften, Familien, Sippen, Dynastien, Klientelgemeinschaften, Zünfte, Kasten undsoweiter. In einer globalisierten Welt mit umfänglichen Wanderbewegungen passiert es nun, daß manche Gruppierungen mit den Grenzen von Körpermerkmalen in kontingenter Weise zusammenfallen, das heißt, Menschen, die maximal außerhalb der eigenen Großgruppe stehen (eine andere Sprache sprechen, aus einem anderen Land stammen, andere Götter, andere Narrative haben), sehen in der Regel auch anders aus. Hier, und nur hier, hat der Rassismus seine Ursache: Als Epiphänomen. Hätten etwa die Fans von Schalke 04 eine andere Hautfarbe als die Fans des 1. FC Köln, würde man von Rassismus sprechen, wenn es nach einem Spiel zwischen Köln-Fans und Schalke-Fans zu Ausschreitungen kommt. Auf humoristische Weise haben das vor Jahrzehnten Badesalz karikiert: In einem Sketch verunglimpfen zwei Fußballfans desselben Vereins während des Spiels einen schwarzen Spieler der Gegenmannschaft („Banänsche, Banänsche! Uh, uh, uh!“), bis sie von einem dritten gemaßregelt werden. Nicht für ihre Beleidigungen, sondern weil sie einen hervorragenden Spieler beschimpfen, der ab nächster Saison für den eigenen Verein spielen wird. Daraufhin kippt die Situation, und die beiden Spötter überhäufen jetzt den Spieler mit Lobeshymnen („Diese Afrikaner, die könne ja barfuß e Gazell fange“), wobei sie nichts von ihrem Rassismus verloren haben, nur jetzt mit positiven Vorzeichen. Der springende Punkt ist hier aber, daß der Vorteil für die eigene Gruppe (den eigenen Verein), ihre Dominanz, höher bewertet wird als die (für den Sieg irrelevante) Hautfarbe eines Spitzenspielers, nachdem diese einen Moment zuvor, als man von der zukünftigen Affiliierung des Spielers keine Ahnung hatte, noch Anlaß für rassistische Beleidigungen gewesen ist. Das eigentliche Problem in Kontexten vermeintlichen Rassismus’ ist das Ressentiment gegen die anderen (beispielsweise gegen den konkurrierenden Fußballverein), und es bestünde auch dann, wenn diese anderen äußerlich gleich wären (wie bei Schalke-Fans und Köln-Fans). Genau deshalb vermengen die Autoren des Fragebogens ja auch Merkmale wie Religion („Muslime“) oder Sprache („Arabisch“, „Russisch“) mit äußerlichen Körpermerkmalen wie der Hautfarbe („schwarz“). Sie haben instinktiv begriffen, daß es um etwas anderes geht, nennen das Phänomen aber pauschal „Rassismus“. Das wird dem zu bekämpfenden Phänomen aber nicht gerecht und ist der Bekämpfung nicht dienlich. Man kann schlecht ein Verhalten ändern, das man nicht verstanden hat.

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