… aber diese Fremden sind nicht von hier! (7), Der Anti-Semant: Einige meiner besten Freunde waren Wörter

(In dieser Reihe kommentiere ich einen Fragebogen zum Thema Rassismus, den die Online-Ausgabe von ZEIT Campus vor ein paar Monaten herausgegeben hat.)

Wie wehrt man sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus? Am besten gar nicht, da wird schon was dran sein. Das Perfide an dem Vorwurf ist, daß man sich gar nicht dagegen wehren kann. Denn was könnte eine bessere Widerlegung sein als der Verweis darauf, daß einem Menschen nahestehen, die das nicht dürften, wenn der Vorwurf stimmte? Gerade diese beste Verteidigung ist aber pragmatisch und protokollarisch unzulässig, weil sie als Topos sprichwörtlich geworden ist, zum geflügelten Wort, das man den Menschenverächtern als Sprache des Bösen in den Mund geschoben hat, wo es nun erst recht als Beweis für den Vorwurf gilt. Weil es, so die unausweichliche Logik, genau die Art der Verteidigung sei, die ein wahrer Antisemit vorbringen würde. Wer immer sich auf diese Weise verteidigt, spricht sich selbst schuldig.
Und wenn es nun aber stimmte?
Dann spielt das keine Rolle. Der Angeklagte braucht nicht zu denken, daß er schuldfrei wäre, nur weil seine jüdischen Freunde aufstehen und für ihn sprechen. Allerdings, hat er keine jüdischen Freunde, ist er erst recht schuldig. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Beweis für die Unschuld. Aus dem Vorwurf folgt automatisch die Schuld.
Im Fragebogen findet man einen Reflex dieser Logik in den Fragen 6 („Denkst du, du bist nicht rassistisch, weil du einen Freund mit Migrationshintergrund hast?“) und 8 („Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben?“). Ein kleines Rollenspiel macht den inquisitorischen Charakter des Verhörs deutlich. Drehen wir die Reihenfolge der Fragen mal um und lassen einen Inquisitor (I) einen Sünder (S) in die Zange nehmen:

I: Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben?
S: Nun, äh, ich bin eng befreundet mit Amitav, Rafik, Omar, Kiran, Chimamanda und Teju, also sechs.
I: Denkst du, du bist nicht rassistisch, weil du einen Freund mit Migrationshintergrund hast?

Leicht ist zu sehen, daß es keine Antwort gibt, die den Inquisitor zufriedenstellen würde. Das ist auch gar nicht möglich, er wäre nämlich sonst ein schlechter Inquisitor. Antwortet S auf die erste Frage mit „Keinen einzigen“, ist das sehr schlimm für ihn. Antwortet er mit einer Aufzählung all seiner ausländischen Freunde, hilft ihm das keineswegs. „Wie oft betest du das Vaterunser?“ – „Dreimal täglich.“ – „Glaubst du, du bist frei von Sünde, weil du dreimal täglich das Vaterunser betest?“
Wie bei jeder Inquisition steht hier das Ergebnis schon zu Beginn der Befragung fest. Es handelt sich um ein Ritual. Um eine Zeremonie.

Bleiben wir noch einen Augenblick bei Freunden und Zahlen. Die allgemeine Kommunikationsstruktur des Fragebogens läßt sich wie folgt schematisieren:

Publikum: Ich bin kein Rassist!
Fragebogen: So? Dann wollen wir doch mal sehen. Also, wieviele enge Freunde mit nigerianischem etc. Migrationshintergrund hast du?
Publikum: […]
Fragebogen: Siehste. Weiter im Text. Weißt du, wieviele Msulime in Deutschland leben?

Das heißt, zu jeder der Fragen dieses, nunja, Verhörs gibt es eine Antwort, die der Verhörleiter hören will, weil es seinen Verdacht bestätigt, und eine, die ihm egal ist, weil sie an diesem Verdacht ohnehin nichts mehr ändert. Antworten der ersten Art sind ein Eingeständnis („Ja, ich gestehe, ich bin Rassist, ich habe keine nigerianischen Freunde, ich bin ein schlechter Mensch“); mit Antworten der zweiten Art glaubt der Verhörte das Richtige gesagt und den Beweis geliefert zu haben, daß er kein Rassist ist (ich nenne das die „brave“ Antwort). Anders ausgedrückt: Die meisten Fragen des Verhörs lassen sich umformulieren in: „Wenn du kein Rassist wärst, dann … (Hättest du enge Freunde mit Migrationshintergrund; würdest nicht denken, du bist kein Rassist, weil du enge Freunde mit Migrationshintergrund hast; würdest dich, wenn nebenan Afghanen einziehen, genauso super fühlen, wie wenn Schweden einziehen; würdest dich nicht fremder in der Nähe von Arabischsprechern fühlen als in der Nähe von Englischsprechern; würdest bei Tinder dunkelhäutige Gesichter nicht wegwischen; würdest dein Kind in eine Kita mit mehrheitlich Migrationskindern geben; würdest zahlreiche Bücher schwarzer Autoren lesen; etc.) – Was? Du denkst, hast, fühlst, gibst, liest, machst das alles nicht? Dann bist du ein Rassist. (Und wenn doch, bist du trotzdem einer. Siehe oben.)
(Einige Fragen sind in der Hinsicht mehrdeutig, daß nicht klar ist, wie die brave Antwort eigentlich lautet: Bin ich jetzt ein Rassist, wenn ich nicht weiß, wie viele Muslime in Deutschland leben? Wenn ich nicht weiß, daß jeder vierte Deutsche einen Migrationshintergrund hat? Oder bin ich im Gegenteil ein Rassist, weil ich es weiß? )
Zu einem inquisitorischen Verhör gehören natürlich auch solche Fragen, auf die der Verhörte aller Wahrscheinlichkeit nach gar keine zufriedenstellende Antwort geben kann. „Warum warst du letzten Sonntag nicht in der Kirche?“, wobei der Inquisitor genau weiß, daß der Weizen am fraglichen Tag des Herrn schnittreif war und es mit der Ernte pressierte, weil ein Unwetter drohte, und daß der Verhörte mit seinem Zehnten schon in der Kreide steht. In ähnlicher Weise ist die Frage nach den nigerianischen etc. Freunden perfide. Wie geht nämlich die Übung, die man absolvieren muß, um eine brave Antwort geben zu können? An wen richtet sich der Fragebogen, welche Menschengruppe soll sich hier angesprochen fühlen? Man darf annehmen: junge weiße Angehörige der gebildeten Mittel- und Oberschicht ohne Migrationshintergrund. (Zum Thema Vorsortierung von Opfern und Tätern siehe oben). Nun, Freundschaften sucht und schließt man im allgemeinen innerhalb der eigenen Gruppe, der eigenen Sphäre, Klasse, Schicht, Region, Arbeitsplatz, Bildungsschicht. Das kann man bedauerlich finden, betrifft aber das Thema Rassismus nicht zwangsläufig. Nehmen wir beispielsweise meine eigene Biographie (weiß, Mittelstand, akademischer Bildungsweg, kein Migrationshintergrund). Ich bin aufgewachsen in einem Dorf in Nordbaden. An meiner Grundschule gab es vielleicht zwei Ausländerkinder (das Wort Migrant war noch nicht erfunden), in meiner Klasse keinen. Die ersten Migranten, mit denen ich in Kontakt kam, traf ich in der Oberstufe des Gymnasiums, und tatsächlich war ich mit einem davon befreundet. Einmal abgesehen davon, daß sich nicht jeder Mensch für jeden Menschen zum Freund eignet, hätte ich kaum Gelegenheit gehabt, auch nur darüber nachzudenken, daß man auch Freunde mit nigerianischem etc. Hintergrund haben kann. Nigerianer? Perser? Woher nehmen! Selbst wenn ich es darauf hätte anlegen wollen, einen davon zum Freund zu gewinnen, es wäre mangels Nigerianer und Perser gar nicht möglich gewesen. Was also wirft der Fragebogen den Verhörten vor – denn ein Vorwurf ist es ja –, wenn diese nur weiße deutsche migrationslose Freunde aus dem gebildeten Mittelstand vorweisen können? Daß sie pflichtschuldigst sich einen anderen biographischen Hintergrund hätten wählen sollen? (Übrigens gilt die Beobachtung, daß man Freunde überwiegend in der eigenen Sphäre findet, für alle Menschen, auch für die mit Migrationshintergrund. Nigerianer und Perser, die in Deutschland leben, werden, vermute ich mal, überwiegend nigerianische bzw. persische Freunde haben. Wäre es anders, müßte der Fragebogen nicht nach den nigerianischen oder persischen Freunden von weißen Autochthonen fragen, das ergibt sich aus der Arithmetik.)
Und noch eine Bemerkung zu der Frage mit Tinder. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß interkulturelle Spannungen selbst zwischen Bewohnern verschiedener Länder Westeuropas eine enorme Herausforderung für deren internationale Partnerschaft darstellen können. Nun mag bei Tinder etwas anderes als feste Partnerschaften Ziel der Suche sein, aber interkulturelle Mißverständnisse dürften auch bei einem ONS eine Rolle spielen. Ich finde es absolut verzeihlich, wenn man hier auf Nummer sicher geht, selbst wenn man – wie es Tindernutzer vermutlich sind – auf Abenteuer gebürstet ist. Aber noch etwas anderes ist hier wichtig: Der Bereich von Sex und Beziehung ist der subjektive Lebensweltbereich schlechthin. Wer hier so etwas wie das Gegenstück zur Gendergerechtigkeit auf dem Feld von Ethnien fordert, der muß auch fordern, daß man bei Häßlichen nicht weiterwischt, weder Alter noch Beruf, weder Bildungsstand noch Musikgeschmack berücksichtigt, ja, daß man persönliche Quoten für kleine, große, dicke, dünne, Brillenträger und Scharfsichtige hat, etc. Mit anderen Worten, es bliebe auch bei der Wahl des Sexpartners nur noch der Münzwurf übrig, wenn man nicht buchhalterisch versuchen wollte, den jeweiligen in der Bevölkerung vorfindlichen Proporz von dick, dünn, weiß, schwarz, plattfüßig und spreizfüßig bei den eigenen Partnern exakt abzubilden. Sicher, Schönheit und Attraktivität sowie unsere Reaktionen darauf sind im Grunde Schweinkram, der nicht in unser Selbstbild paßt. Natürlich wollen wir nur „innere Werte“ gelten lassen. Natürlich lassen wir uns niemals von äußerer Attraktivität täuschen. Oder? Bei der Wahl eines potentiellen Sexpartners ausgerechnet die Hautfarbe als Kriterium auszuschließen, das ist geheuchelt. Und wie sollte das auch gehen? Die Wahl des Sexpartners ist subjektiv in jeder Hinsicht (und eine Ablehnung aus egal welchem Grund für den Abgelehnten immer schmerzhaft), und wir tun gut daran, beim anderen nicht genau nach den Gründen zu forschen. Wenn wir sie denn bei uns selbst immer kennen: Gefällt mir ihr Lächeln nicht, oder wische ich weiter, weil sie schwarz ist? Wische ich weiter, weil er eine Mongolenfalte hat, oder weil ich sein schmales Kinn häßlich finde? Man müßte, um dem Inquisitor später eine befriedigende Antwort geben zu können, geradezu bewußt nach schwarzen Partnern suchen. „Ich mag dich eigentlich nicht, aber ich brauche noch eine Schwarze für meine Quote.“ Überlegen Sie selbst, ob das eine realistische oder auch nur wünschenswerte Welt wäre.

0 Gedanken zu „… aber diese Fremden sind nicht von hier! (7), Der Anti-Semant: Einige meiner besten Freunde waren Wörter

  1. Was bin ich froh, dass ich die Zeit nicht mehr lese bzw. nur noch sporadisch, wenn mir mal ein interessantes Thema auffällt – über dessen Bearbeitung ich jedoch fast immer enttäuscht bin. Dieser Fragebogen erscheint mir reichlich primitiv. Und was den Antisemitismus betrifft, den vermeintlichen, so erinnere mich sehr gut daran, wie fast die gesamte deutsche Presse über Gunter Grass herfiel, dessen Gedich angeblich antisemitisch war. Differenzierung findet nicht statt in Deutschland.

    1. Was war das für ein Gedicht von Grass? Das habe ich gar nicht mitbekommen.

      Ich sage nur: Jenninger! Den man nur deshalb absägen mußte, um sicherzustellen, daß ihn niemand später von rechts absichtlich falsch zitieren würde. Was für ein Armutszeugnis für eine Debatten-Demokratie und was für ein Armutszeugnis auch für eine Gesellschaft, die sich für aufgeklärt und rational hält. Was damals der Kunstgriff der erlebten Rede war, den die Verantwortlichen nicht verstanden zu haben vorgaben, das ist heute die sogenannte Rollenprosa. Man fragt sich, ob die Schüler eigentlich noch lesen (nicht buchstabieren, lesen) lernen.

      Sie sagen es, Differenzierung ist viel zu schwierig. Das kann man heute einfach nicht mehr machen.

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