Zwischenbericht

Morgen ist der 10. August 2018. Morgen vor einem Jahr, stelle ich mit einem Blick in die Dateieigenschaften fest, habe ich die gegenwärtige Arbeitsdatei erstellt. Die gegenwärtige Arbeitsdatei enthält aktuell 152 Arbeitsseiten, die den fünften von insgesamt sieben geplanten Teilen darstellen. Man verliert, wenn man so lange an einem Text arbeitet, irgendwann aus den Augen, wann man damit anfing, wann das war, als man den ersten Satz ins leere Dokument schrieb, die Datei speicherte und sie auf den Namen taufte, unter dem man sie seither fast täglich geöffnet hat. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dieser Tag dürfte höchstens ein halbes Jahr zurückliegen. Nun ist es tatsächlich ein ganzes.

Ab- und Umwege, Wiederaufnahmen, Striche und Wiederverwertungen, Entkernungen, Fortspinnungen, Metamorphosen und Metempsychosen von Szenen und Bildern, und endlich schalenartige Erweiterungen einer einzigen Idee, eines Kerns, wie lange sitze ich jetzt schon an diesem monströsen Ding, dessen fünften Teil ich dieser Tage nach einem Jahr Arbeit fertigstelle? Seit der STADT AM ENDE DES JAHRTAUSENDS, eigentlich, auch wenn, was inzwischen daraus gewachsen ist, ich sollte besser gewuchert schreiben, nichts mehr mit der Form zu tun hat, die ich damals dieser Geschichte, 1998 war das, geben wollte, eine kurze Erzählung sollte es werden, eine Novelle, und mir als Fingerübung für ernstere Projekte dienen. Daß ich nicht lache. Was für ernstere Projekte? Wie ernst kann man werden?

Sehr ernst, scheint es. So ernst, daß man zwanzig Jahre lang einen Gedanken, diesen einen Gedanken, dieses Bild, diese traumartige Sequenz und die darin schwebende, unter jedem probeweise hingeschriebenen Wort zu nichts zerfallende Stimmung, in einer Erzählung einerseits zu evozieren, dann, nein, nicht verarbeiten, eher unterzubringen sich abmüht. Immer wieder scheiternd, neu beginnend, unter wechselnden Konzepten und Handlungsläufen, in denen die notwendigen Hauptelemente in immer anderen Kombinationen verknüpft sind. Verzweifelnd, neue Hoffnung schöpfend, Monate pausierend, grübelnd, zähneknirschend, starrköpfig, immer wieder anderen Projekten zugewandt, aus denen gleichwohl nichts wird.

Jetzt ist dieses Ding auf fünf Teile angewachsen und sieben müssen es werden. Ein Jahr habe ich für den fünften Teil gebraucht, länger noch, weil ich ein weiteres dreiviertel Jahr mit der Suche nach einem gangbaren Konzept verbraucht habe. Das ist niederschmetternd. Ende 2020 also, wenn alles gut geht und in dem Tempo weiterläuft wie bisher, dann könnte, vielleicht, womöglich, dann ist zu hoffen, daß dieses Ding fertig ist. Daß ich mit Teil sechs und sieben wesentlich schneller vorankomme als mit Teil fünf, ist nicht zu erwarten, eher, daß es erheblich schwieriger wird als gedacht, beim Schreiben wird es immer schwieriger als gedacht.

Morgen ist der 10. August 2018. Noch ein Jahr und noch ein Jahr und noch eines an diesem Monstrum. So wird diese Geschichte, zwanzig Jahre jetzt, zu etwas ganz anderem, wird selbst zu einer Figur: zu einem Protagonisten eines ganz anderen Romans, meines Lebens nämlich, und fast ist es so, daß diese Geschichte mich schreibt, statt ich sie.

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