De gustibus

Wissen wir immer, warum wir etwas mögen oder ablehnen? Wurzelt unsere Ablehnung oder Präferenz allein in uns, und wenn ja, wo? Laune der Natur? Frühe Prägung? Positive Verstärkung durch gute Erfahrungen? Und welche Rolle spielt die Werbung und der öffentliche Konsens, wie er beispielsweise beim Schlankheitswahn zu beobachten ist?

Schönheitsideale hat es wohl schon immer gegeben. Interessant dabei ist, daß diese Ideale in Bewegung sind und sich am selben Ort in der Zeit und zur selben Zeit von Ort zu Ort unterscheiden, zu ihrer Zeit und an ihrem Ort dann aber eine beträchtliche Wirkung entfalten. Es kann sich bei ihnen mithin nicht um den Ausdruck überindividuell und überkulturell festgeschriebener (um nicht „biologischer“ sagen zu müssen) Vorlieben handeln. Rätselhaft ist dabei, wie diese Vorlieben dann zustande kommen, und auf welchen Wegen, unter welchen Bedingungen sich welche Vorliebe als gesamtgesellschaftliches Ideal verbreitet und schließlich durchsetzt.

Will ich überhaupt wissen, warum ich etwas schön finde? Gäbe es für meine Vorlieben und Abneigungen eine objektive Erklärung (also keine Erklärung des persönlichen Geschmacks, sondern der außerpersönlichen Ursache), dann hätte ab dem Moment meiner Erkenntnis dieser Erklärung mein Empfinden mit meiner Persönlichkeit, mit meinem unteilbaren Ich nichts mehr zu tun. Subsumierbar geworden unter ein allgemeines Gesetz, wäre es gar nicht mehr meine Vorliebe. Da ich aber meine Vorlieben und Abneigung bin, wäre ich selbst letztlich unter allgemeine Gesetze subsumierbar, und meine Persönlichkeit wäre zum Teufel.

Der Ausweg: Ein Sittengesetz des Geschmacks, das man sich selbst gibt und dem man sich unterwirft, um dem Gesetz der Kausalkette zu entkommen.

Sich eine eigene Meinung bilden, den eigenen Geschmack finden, das ist sehr schwer. So schwer, daß man sich fragen darf, gibt es den überhaupt, den eigenen Geschmack? Eine Meinung ist oberflächlich begründbar (hat aber, argwöhne ich, immer eine emotionale Wurzel, der die Ratio komplett schnuppe ist), ein Geschmack nicht (sonst wäre er eine Meinung). Der Geschmack aber ist diejenige Regel, nach der unsere ästhetischen Reaktionen organisiert sind. Ästhetische Reaktionen, die überhaupt keiner Regel folgen, sind kein Geschmack, sondern Wahllosigkeit. Die Regeln des ästhetischen Rezipierens zu kennen, nutzt dem Rezipienten nichts. Er nimmt sie als die Axiome seiner Persönlichkeit wahr, und muß das auch, andernfalls sein Geist und sein Empfinden nichts weiter wäre als eine formbare Masse. Es darf den Urteilenden gar nicht interessieren, warum er so und nicht anders urteilt. Wer sich indessen für dieses kausale (nicht ästhetische) Warum interessiert, und zwar brennend; wer unbedingt wissen will, wie sich bei wem unter welchen Voraussetzungen und Einflüssen der Geschmack bildet – das ist die Werbeindustrie.

Schon jetzt wird ja mit Fleiß daran gearbeitet, den Menschen maschinenlesbar zu machen, wozu auch die Ableitung seines Geschmacks (und das heißt heute doch immer: seiner zukünftigen Kaufentscheidungen) zählt. Warum aber wäre es schlimm, wenn uns eine Maschine auf den Kopf zusagen könnte, was wir mögen? Weil wir dann dort, wo wir es selbst nicht begründen können, von außen begründet werden. Es gäbe keine Überraschungen mehr. Es gäbe keine Faszination über eine neue Faszination mehr. Wir könnten uns selbst nicht mehr entdecken und nicht entwickeln. Wir wären nicht mehr der Urheber, nicht mehr der Träger unseres Geschmacks. Und das wäre so gut, wie gar keinen Geschmack zu haben.

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