Mitnotiert: Spätsommer

Pilze, Pilze, wie Pockenpusteln der Erde, grün, grau, blutunterlaufen, geschwollen, verschlagen, wie mit unausprechlichem Effluvium gefüllt. Ein Gang durch den Wald, den Bach am Handgelenk schlackernd, Kopf im Fell, Augen verlieren sich im Unterholz, ein Mund voll bitteren Laubs und die Ferne zwischen zwei Fichten gezwängt und gemartert. Man kann hier nicht bleiben.

Bäume blicken sich beschämt auf die Füße. Hallen von Grün, wie leblose Blasebälge, stumme, eingerostete Windwerke des Sommers. Eine Tür geht auf, und man steht in einem Saal, in dem der Herbst geprobt wird. Generalprobe, die Premiere ist morgen oder übermorgen, bald jedenfalls. Frechheit, Frechheit, rufen die Vogel im Davonzucken.

Nur ein Pflaumensteinspucken entfernt ist das verlorene, vergessene, liegengebliebene Leben. Wenn die Sonne durch den Nebel fegt, klebt der späte Sommer unterm Gaumen, süß, gelb und ein bißchen müde, wie nicht mehr ganz ernst gemeinte Küsse. Ich vermisse die Nähe von allem, zu allem. Ich nehme deine Hand, aber wie sehr ich mich auch konzentriere, Hand, Hand, Hand, es gelingt mir nicht, nahe zu sein, irgendwem, irgendetwas. Ich bin entfernt und schaue aus dieser Ferne zu, lese uns wie in einem Buch. Die Sehnsucht ist so, als wollte ich mit deinen Lungen atmen, mich selbst küssen mit deinen Lippen. Die Sehnsucht nach einer Jahreszeit, die nie kommen wird, und an ihre Stelle tritt doch wieder nur das alte Jahr.

Ein Aufschub, Reste. Vom Jahr, vom Leben, von der Zeit selbst. Zeitweise die Einbildung, daß alles noch weiter geht, und daß morgen mehr oder weniger so sein wird wie heute, nächstes Jahr so ähnlich wie dieses. Ein Irrtum. Unterm nikotinbraunen Laub der Kastanien, das sich krümmt, als wäre der Baum in etwas Ekelhaftes getreten, ein Busunterstand, verstaubt, versponnen wie eine Larve, aus der nichts wurde, die Vergeblichkeit längst abgelaufener Fahrpläne, endgültig wie Losnieten. Man duckt sich, man rüttelt am Gehäuse, man kaut bedächtig eine grüne Pflaume, es hilft alles nichts. Zuletzt stapfen wir über ein Feld, endlose Böschungen, endloser Matsch, streberhafter Mais rechts, links die Pläne des frühen Abends, und die Luft ist eine Jacke, die nicht warm hält. Eine Absperrung, gegenüber ein Hang, ein brütender Hochsitz, ein Rabe im Wipfel eines Ahorns. Da eilt das Jahr, als gäbe es am Ende ein Zuhause für die Tage, ein Ausruhen fürs Wetter, ein Zurückzählen des Kalenders auf eine schweigende, ruhende Null, ein Münden in Frieden, aber so wird es ja nicht sein. Dort, wo wir ankommen sollten, sind wir schon entlassen (wo wir glaubten, erst begrüßt zu sein), wir sind mit der Sehnsucht allein und mit der Liebe, und immer, immer stehen wir am Anfang der Zeit. Wir sehen uns um. Die Füße sind naß, die Hosensäume verschlammt, die Ellenbogen kalt, im Tal schlagen Glocken, der Rabe schwankt und ruft, und da ist es, als dürften wir hier eigentlich längst nicht mehr sein, als hätten wir hier niemals hingehört.

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