Analog

(Ein Haus renoviert. Was im Rückblick äußerst erholsam war – ich merke es gerade an meiner bereits wieder einsetzenden Erschöpfung, kaum daß ich nach einer Woche Auszeit die erste Stunde am Rechner sitze –: So ein Hausumbau ist komplett analog. Es gibt keine digitalen Fliesen, und die halten auch nicht digital, sondern mit Fliesenkleber – und wenn nicht, fallen sie runter. Da hilft auch kein Neustart. Es gibt auch nur analogen Lehmputz, und der knirscht und bröckelt und hat Stroh drin, und es ist verdammt nochmal anstrengend, den mit Wasser zur richtigen Konsistenz zu verrühren, und es ist verflixt noch eins schwierig, die analoge Masse mit einer analogen Kelle auf einer analogen Wand zu verteilen. Das macht keine App, sondern Muskeln, Auge und Ohr. Und so eine Tapete läßt sich nicht mit drag & drop an die Wand ziehen, an eine krumme Wand, für die man eigentlich einen Doktorgrad in sphärischer Geometrie brauchte, schon gar nicht. Das geht nur mit analogen Flüchen, echtem Schweiß und Leim, am besten im gut eingespielten Team. Und wenn Farbe dorthin kleckst, wohin sie nicht soll, hilft auch kein Defragmentieren der Festplatte, sondern nur noch viel Wasser und ein Schrubber. Alles echt, ist es denn möglich! Das wiegt und riecht und ist scharf und fällt runter und macht Lärm, es ist nicht zu glauben. Und wenn der passende Bit plötzlich unauffindbar ist, dann gibt es keine Suchfunktion, sondern man muß selber schauen, wo man das Ding verräumt hat. Hier gibt es keine Farbcodes oder Pixel, hier gibt es nur echte Abmessungen, die gerne zu groß oder millimeterweise zu eng ausfallen, da hilft dann kein Mausklick, da muß man nachschneiden und nachhobeln und nachschleifen, bis es eben paßt; mit echtem Werkzeug, echten Geräten, die echten Staub und Dreck und Krach produzieren. Die Masken, unter denen man kaum Luft bekommt, so daß man röchelt wie Darth Vader persönlich, die sind auch echt, und sie riechen nicht gut; und die Schwielen und Schrammen und der krumme Rücken am Abend: auch die sind echt. Ebenso wie die Farbspritzer im Haar und der blaugeklopfte Daumen.

Ich sag’s ja nicht gerne, denn Handwerk ist nicht mein Ding, absolut nicht, ich möchte schreiend davonlaufen, wenn ich auch nur die Montageanleitung für einen Wasserhahn begreifen muß, aber trotzdem: Es kann eine Wohltat sein, die Dinge mal in echt zu machen und nicht in virtuell. Ich korrigiere: Es ist eine Wohltat, einmal dazu gezwungen zu werden, die Dinge in echt zu machen. Wäre es anders möglich: Man hinge ja doch wieder vorm Bildschirm und zöge die Tapeten mittels drag & drop an die Wand. Aber hätte ein solches Werk auch nur den Bruchteil der Befriedigung, die man verspürt, wenn man über und über mit Leim bekleistert vor der frischen Wand steht? Und sei’s auch nicht perfekt: So hat man’s doch selbst gemacht. Selbst: Und das ist der Punkt. Mit eigenen Händen. Es hat sich angefühlt, es hatte Gewicht, es hat geklebt, es hat sich widersetzt. Aber man es hingekriegt. Ohne Systemadministrator.

Vor allem aber: So eine Stichsäge belauscht dich nicht; so ein Hammer merkt sich dein Hämmerverhalten nicht; so ein Akkuschrauber meldet deine Über-achtzehn-Flüche nicht an FB oder sonst wen weiter. Und wenn etwas kaputt geht, gibt es immer eine Alternative, eine Improvisation, die vielleicht noch besser ist als der ursprüngliche Plan.
Digital gibt es nur ja oder nein. Digital gibt es keine Improvisation, keine Phantasie. Digital kann man nichts passend machen, was nicht schon passend wäre. Digital ist malen nach Zahlen. Es ist eine Erleichterung und Befreiung zu merken: Man kann die Dinge um einen her mit den Händen formen. Das tut manchmal weh; aber am Ende ist es wundervoll; und man wird es vermissen, wenn man wieder vor dem Rechner sitzt.)

0 Gedanken zu „Analog

  1. Eine spannende Idee, großartig beschrieben! 🙂
    Mir passiert es auch immer wieder, dass ich vor etwas stehe und mental nach der Maus suche, dem Rechtsklick, den Eigenschaften: Wer hat das gemacht? Und wann? Von wem kommt das? Gleich mal googeln …
    ach nein. Geht ja nicht, bin ja gar nicht am Computer. Dann werd ich eben ganz analog mal etwas nicht wissen. Damit muss man leben können. Noch. 😉

    1. Es kann geradezu eine Befreiung sein, mal etwas nicht zu wissen!

      Mir ist es auch schon so gegangen, daß ich in einem Buch eine Stelle suchte und in Gedanken “Strg f” gedrückt habe. Ich finde diese Konditionierung ein bißchen unheimlich.

      1. Stimmt! Beim Lesen suche ich auch manchmal die Suchfunktion. Aber ich ordne es ein wie den Beifahrer (meist Beifahrerin) beim beherzten Tritt auf die nicht vorhandene Bremse in einer kritischen Situation. Das ist ja nicht gruselig, sondern einfach Gewohnheit. 😉

  2. Es ist erstaunlich und erfreulich, wie viel Wissen sich ansammelt, wenn man gezwungen ist, handwerkliche Arbeit zu verrichten. Seit ich die Arbeit auf unserer kleinen Obstplantage übernommen habe, weil der, dessen Leidenschaft es ist, krankheitsbedingt die Arbeit nicht mehr machen kann, habe ich so viel gelernt, dass ich inzwischen schon um Rat gefragt und um Hilfe gebeten werde, was die Pflege von Obstbäumen und Sträuchern betrifft. Beim “Hand (Säge, Schere) anlegen”, ist nicht nur der körperliche Einsatz befriedigend, sondern auch der Gewinn an Wissen über die Pflanzen und Gehölze. Das ist auch bei anderen handwerklichen Tätigkeiten so, was man mal selbst gemacht hat, steigt im (Wissens)Wert.
    Nur bei einem Punkt in dem aufschlussreichen Artikel muss ich widersprechen, der Hammer und die Schere belauschen uns wohl. Wir haben z.B. jeder eigenes Werkzeug, ich kann nicht mit seinem Hammer und er nicht mit meinem. Der Hammer scheint sich den Schwung des Besitzers zu merken…Aber er gibt es garantiert nicht weiter.

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