Noch einmal

Eine Wanderung im Schnee, anstrengendes Stapfen und Ausgleiten, ein trüber Spätwintertag, das Licht wie von Wasserströmen abgeschliffen und mild. Es tropft, es tropft überall, in den Hecken, von den Kiefern, von den Strommasten, auf die Wege und Steige und die zugefrorenen Flüsse, deren Eis sich zu geometrische Spalten und Rissen verbiegt. Wälder, Felder, Heckenläufe. Die Ferne ist klar, transparent, als sei auch vom Horizont, von den vielen gestaffelten Horizonten ein Schleier abgetaut. Ein Sonnenstrahl zersticht schwarzes Regengewölk. Mein Schatten schwebt neben mir, ich sehe mich beschwingt gehen, die Daumen unter die Rucksackschlaufen gesteckt. Ich mag staunen über den, der da geht.
Spuren zerfließen. Alte, zerschmolzene, frische, scharf eingegrabene. Von Hunden, Menschen, Traktoren, Langlaufskiern. Langsam verliert der Schnee sein Gedächtnis. Wie winzige Fäustchen geballt hängen die Haselkätzchen, bereit, aufzugehen. Kleine Fliegen, zarte Gebilde wie Anführungszeichen begegnen einander über der verharschten Schneedecke. Manchmal liegen Birkensamen vom letzten Sommer auf dem Eis, winzige Sternchen, es sieht aus wie Fastnachtsglitter.
Noch eine kleine Rast kurz vor dem Ziel. Ich trinke das letzte Wasser, habe noch einen Apfel. Selig kaue ich die süße Säure, während noch einmal die Sonne hervorkommt und den Schnee um den Rastplatz leuchten läßt. Mir ist warm, Kopf, Hände, Füße glühen. Meisen pfeifen im Gebüsch. Der Apfel kracht im Mund. Die Kiefernwipfel rauschen, wie nur Kiefernwipfel rauschen können, der Apfelrest fliegt ins Gebüsch, ich sehe den Weg sich weiterwinden, an vielen Stellen schon braun, und da ist es plötzlich, als wären die letzten fünf Jahre nicht vergangen, einfach nicht vergangen, und ich bin noch einmal da, wo ich damals irgendwie falsch abgezweigt sein muß, und es ist, als dürfte ich noch einmal von dort aus alles neu beginnen. Das Licht, der Weg, der Schnee und, wo er geschmolzen ist, der warme, von Kiefernnadeln bestreute Grund, dieser unendlich vertraute, liebe, duftende Boden, alles wieder frisch, verjüngt, in Ordnung gebracht, richtig und gut. Gut, gut: Und ich hebe einen kantigen, kupferroten, gemaserten Stein auf, reibe ihn mit Schnee ab, trockne ihn an der Hose und stecke ihn in die Tasche, wo sich sofort meine Hand wie um etwas schließt, das immer am Platz war. Eine Erinnerung an diesen Moment, an ein unfaßbares, flüchtiges Glück, eine Erinnerung für später, wenn es einmal nicht mehr so ist.