Vielleicht ist alles nicht so schlimm, sondern schlimmer?
Welcher Blick auf die Welt liefert die Nullinie, die alles in gut und schlimm teilt?
Was wäre, wenn der Depressive die Welt so sieht, wie sie wirklich ist? Dann taumelten alle vermeintlich Gesunden im hormonalen Vollrausch serotoninbesoffen wie Dauerverliebte durch eine rosig eingetünchte Bonbonwelt. Während der Depressive die Brille verloren hat und die frohe Täuschung nicht wieder hinbekommt.
Wir können nicht die wahre Gestalt der Dinge erkennen, oder könnten wir es, so ginge vielleicht das Vergnügen der Sinne darüber verloren – ich gebe also diese Wahrheit auf, denn die Täuschung ist mir erfreulicher, lese ich bei Tieck (William Lovell); was aber, wenn die Täuschung nicht mehr gelingt?
„Warum aber […] willst du diese Art die Dinge zu sehn, die doch freilich nur eine Verwöhnung und kranke Willkür ist, nicht wieder fahrenlassen, und mit frohem Mut die wahre Gestalt der Welt wieder suchen?“
„Um so zu sehn, wie du siehst. […] Ist aber dieser Anblick der wahre? Wer von uns hat recht? Oder werden wir alle getäuscht?“
Dann sind die Gesunden nicht gesund, sondern vernebelt; dann ist die Welt tatsächlich so schlimm, wie sie der Depressive sieht.
So oder so, die Welt ist ein schwieriger Ort, von wo auch immer man sie sich besieht.
Das ist verbürgt: daß Depressive realistischer sehen. Besser wird nichts davon; und es ist rührend und erschreckend, wie dringend nötig der Mensch seine Geschichten hat.
Geschichten oder Täuschungen? Und was ist, wenn die Täuschung einmal auffliegt? Oder die Geschichte sich als falsch erweist?
“Sind für Sie Glauben und Wissen unvereinbar?”
Über die Semantik des Wortes glauben muß ich noch nachdenken.
Oh, Wasser auf meine Mühlen ist das. Ich nehme das als Ergänzung zu meinem Gebloggsel von neulich. Oder als Erweiterung.