Wie sich die Zeiten ändern. Dreihundert Bäckereien schließen jedes Jahr in Deutschland. An ihrer Statt sprießen Selbstbedienungs-Aufbackstuben wie Pilze aus dem Boden. Die Jungen wollen den Laden der Eltern nicht übernehmen; und eine Bäckerei, eine echte Bäckerei, neu zu eröffnen, dazu sind heute sechsstellige Investionssummen vonnöten, ein Risiko, das keine Bank eingeht. In der Zeitschrift Chrismon rechnet ein Bäcker vor, um die Rendite von 1978 zu erzielen, müsse ein handwerklich erzeugtes Brötchen heute etwa einen Euro kosten. Es ist klar, daß unter diesen Umständen echte Bäckereien auf Dauer ganz verschwinden werden.
Wie sich die Zeiten ändern. Noch 1993, als man Backshop unbedarft mit „Hinterladen“ übersetzt hätte und die Kette Ditsch die Bahnhofshallen der Republik noch nicht mit dem Pesthauch sauren Kunstkäses schwängern durfte, habe ich in einer Bäckerei frischen Sauerteig bekommen. Ja, Sie lesen richtig. Echten, rohen Teig. Abgefüllt in ein Gefäß, das ich selbst mitgebracht hatte. Das haben sie – halten Sie sich fest – mit in die Backstube genommen und mir, mit einer klebrigen Masse vollgestopft, zurückgebracht, die später im Rucksack den Deckel vom Gefäß hob und höchst vital über sämtliche Ufer gor. Zu der Teigspende, die, glaube ich, nicht einmal etwas kostete, gab’s die Mahnung: „Aber nicht daß Sie jetzt jede Woche hier ankommen, ne?“ Ja, so was ging damals noch. Es gab lange Gesichter und hochgezogene Augenbrauen, aber es ging. Versuchen Sie das heute mal („Sauerwas? Teig? Wir sind ne Bäckerei, junger Mann!“). Barbarische Zeiten waren das. Am Ende war meine Küche über und über mit dem Zeug verklebt, und so viele Brote, wie der Teig hätte liefern können, schaffte ich gar nicht aufzuessen. Es war das erste und letzte Mal, daß ich mit Sauerteig experimentiert habe. Den Bäcker gibt’s übrigens auch nicht mehr. Kein Wunder. Den hat wahrscheinlich das Gesundheitsamt schließen lassen.