Nie wach genug

Und ich habe ihn schon gefürchtet, diesen Moment, als wir vorgestern noch am Planen und am Freuen waren. Den Moment, da alles wieder vorbei und Erzählung sein würde. Die mühsamen Stunden danach. Ganz gleich, wie sehr ich mich konzentriere („jetzt bist du da, jetzt und jetzt und jetzt; du hältst meine Hand, deine Stirn leuchtet, ich küsse deine Stirn, du lächelst, ich sage etwas, du küßt mich“), ganz gleich, wie sehr ich mich vollzusaugen bemühe mit deiner Gegenwart, der Tatsache, daß du da bist, ich dich sehe, rieche, küsse, auf die Spur zu kommen mich anstrenge; ganz gleich, wie genau ich versuche, mir alles ganz, ganz genau einzuprägen („schau dir die Fingerkuppen an, diese Brauen, merk dir, wie sich das anfühlt, wenn unsere Hände sich verschränken, präg dir ein wie es ist, wenn ich diese Hände an meiner Brust halte, wie feingliedrig sie sind, wie kühl, wie fühlend, wie sehr ihre Finger. Sei wach!“), ganz gleich, wieviel ich von dir mitzunehmen mich anstrenge, mit Augen, Nase, Geist, mit allem, was Wachheit ist – wenn unsere Hände sich endgültig voneinander gelöst haben; wenn du einsteigst; wenn du nur noch ein Schemen hinter Glas bist, schon einen ganz anderen Raum bewohnst als ich: Dann bricht ein Sinn nach dem anderen von dir weg und verwandelt sich im selben Augenblick in Erinnerung; der Druck deiner Hand ist schon Erinnerung, wenn du dich in die Schlange stellst; dein Duft ist schon Erinnerung, während du einsteigst, deine Stimme, dein Lachen ist schon Erinnerung, während ich beobachte, wo du dich hinsetzt; dann ist nur noch dein Lächeln mit meiner eigenen Spiegelung darüber bei mir, und wie du die Hand an die Scheibe legst; wie du lächelst, während der Zug sich und dich darin in Bewegung setzt; weniger und weniger von dir, und zuletzt nur noch deine winkende Hand, und da weiß ich schon nicht mehr, siehst du mich noch, kannst du mich noch erkennen, meine winkende, erhobene, verzweifelte Hand. Ich winke und winke, ich winke, vielleicht siehst du mich noch; ich bin bereits alleine, ich winke immer noch, bis der Zug aus dem Bahnhof geglitten ist, aber schon Momente zuvor, als ich noch deine Hand verschwinden sah hinter der Spiegelung des Himmels im Glas, in die hinein sich dein Winken auflöste, um schließlich als letztes Erinnerung zu werden, wußte ich schon, daß ich wieder einmal nicht wach genug war für dich.