Es sind oft diese kleinen Dinge.
Es war in einem Sträßchen in O. Wir hatten uns auf eine Bank gesetzt, und du hast deine Schuhe aufgeschnürt, um sie fester zu binden, die Zunge war verrutscht, ich berührte mit dem Zeigefinger deinen Spann, und du sagtest mir, wie lange du dieses Paar Schuhe schon trägst und wann du sie gekauft habest. Ich zuckte ein bißchen zusammen. Damals, dachte ich, und: So lange. Ich sah dich an, sah auf deine Finger, wie sie mir eine Verstärkung an den Löchern zeigten und dann eine Schleife banden, und der Schuh schloß sich wieder um deinen Fuß. Kleine Dinge.
Ich hätte dir da gerne gesagt, was mir durch den Kopf ging in diesem Augenblick; ich habe mich gefragt, wie es dir damals wohl gehen nochte, als du die Schuhe kauftest, im Jahr nach seinem Tod, was für eine Farbe deine Gedanken hatten, wie du gestimmt warst, als du sie anprobiertest, was dich bewegt und beschäftigt hat, und wie du wohl von jenem Punkt aus in die Zukunft geschaut und in die Vergangenheit zurückgeblickt hast, ob du in diesem Moment froh warst oder traurig, und ob es ein heiterer Tag war oder ein schlimmer. Gab es da überhaupt schon heitere Tage für dich? Mich beschäftigte, daß du die Schuhe so lange schon trägst, dieses Paar roter, bequemer Schuhe, und daß das vielleicht gar nicht stimmt, was ich einen Moment zuvor gedacht hatte: daß nämlich in Wirklichkeit alles gar nicht so lange her ist. Da wurde ich traurig und hätte dir das gerne gesagt und dich gebeten, doch zu erzählen. Und ich hätte dich gerne stumm in den Arm genommen, wie um dich zu schützen vor der Katastrophe, vor jedem Schmerz zu bewahren und noch nachträglich alles und jedes abzuwehren, das dir je wehtun könnte.
Aber ich blieb stumm. Und obwohl alles in mir vor Zärtlichkeit ganz flaumig wurde, blieb ich in dieser Zärtlichkeit wie eingekapselt. Ich konnte nicht zu dir damit, es war alles zu verworren und unklar, die Welt um uns auch zu hell und fröhlich für solcher Art Gedanken, freundlich zwar, aber zu hektisch und zu laut, Menschen, Autos, Stimmen, und dann war der Moment auch schon vorüber, du hattest deine Schuhe fertig geschnürt, uns fröstelte, wir brachen schnell auf und gingen zu unserem grünen Wasser, und zu den Booten und den Libellen.
Kleine Dinge. Und dort schien die Sonne so mild und gut und brach ihr Licht in den Weiden, die Libellen flogen im Tandem, und für diesmal war alles Schlimme wieder lange, lange her.
Sprachlos machend schön.
Ah. Danke.
(Ach, wissen Sie. Das weckt Erinnerungen. Und wissen Sie noch was: sei dennoch unverzagt, das ist schön und richtig. Ich danke Ihnen für diese Geschichte.)
Es sind die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen. Traurige, schöne, beschwingte, seltsame, fröhliche, bewegende Momente – aneinandergereiht ergeben sie unser einzigartiges Leben.
LG von Rosie