Stock & Hut

Zeilenumbruch des Jahres: Einmal Atemholen, noch einmal der glühenden Felder, der Lerchen gedenken, des heißen Staubs, der knisternden Ähren; ein Blick zurück, einer vorwärts, gelb und blau: Schon ist es Herbst.

Man friert zur Nacht, das Käuzchen ruft, früh tragen die Tomatenstauden ein Tropfenkleid. Nebel saugt die Hügelflügel ins Nichts, stößt fallend einen Baum ins Greifbare, hält die Vogelrufe in der Schwebe gefangen. Minutenlanges Schweigen von allem. Im Kaffee schmeckt man den Winter.

Hol das Wams aus dem Schrank, schüttel den Staub aus den Wollsachen; back ein Brot, nimm einen Klumpen Butter, ein Beutelchen Salz; Papier und Bleistift für die Geschichten; Stock und Hut für den frohen Mut. Laß uns die Schuhe schnüren, ein leichtes Bündel packen. Was brauchen wir mehr als ein Stück Straße und die Ferne, die immer weitergeht? Komm: Nie rufen die Wege so dringlich wie jetzt.

Windspiel

Morgenlicht senkt sich auf den Stamm der Birken. Überm Fensterrahmen des Balkons zerfließt goldenes Frühlicht. Lange Schatten umkreisen den kleinen trockenen Brunnen, feierlich wie uralte Pilger.
Nachts hat plötzlich das sonst stumme Windspiel aufgeklungen, eine sanfte Quarte, aufsteigend, absteigend, ein leises Signal. Dabei ging gar kein Wind, kein Lüftchen regte sich, stumm waltete die Nacht ihrer Reiche. Da plötzlich dieser Ton, Kling, Kling, als habe das Windspiel beschlossen, von selber zu tönen. Tiefste, verstörende Dunkelheit, ortlos, noch Stunden bis zum Weckerklingeln.
Das Riesenbett rings um den Jungen, ein Meer aus weißer Leichtigkeit, die sein eigenes leichtes Gewicht zum Schweben bringt. Kaum, daß er einsinkt in die Matratze. Sein Haar ist verworren, steht ihm vom Kopf ab, kräftig wie Flammen. Wie schmal seine sonnengebräunten Ärmchen sind. Grellweiß die Gaze rings um den Venenzugang. Wie leuchtend seine Augen, wenn er sie öffnet und uns ansieht, stumm.

Das bohrende Schweigen der Vögel

Der Tag hangelt sich von Uhrtick zu Uhrtack fort. Müde Farben sind sein Geschenk. Am Tisch eine Kaffeetasse, ein Löffel. Die harten, verläßlichen Dinge. Im Glas fängt sich ein Spiegelbild. Lichtverspieltheit. Harter Stahl in der Handfläche. Verkehrsgeheul erkundet die Fernen. Heute lasse ich die schlafen, die gestern mich nicht schlafen ließ. Das bohrende Schweigen der Vögel.

Gamescom

Spät fällt der Groschen. Erst nachdem ich vom Bahnhof wieder nach Hause gelaufen war, weil der Pendlerzug nur ein Bauteil hatte statt wie sonst zwei, so daß ich und einige weitere Fahrgäste nicht mehr hineinpaßten; erst, nachdem ich noch einen Kaffee getrunken, eine Schublade aufgeräumt, die Haustür zum zweiten Mal an diesem Morgen abgeschlossen und zum Bahnhof gelaufen war, wo sich inzwischen abermals eine auffallend große Menge von Jungmannen (Mädchen waren eher nicht dabei) eingefunden hatte – erst da verstand endlich auch ich, was diese Horden Vierzehn-, Fünfzehnjährigen auf dem Bahnhof in R***dorf zu bedeuten hatten.
Nun könnte mir eine Messe, die sich mit meiner Ansicht nach komplett überflüssigen Dingen beschäftigt, so egal sein wie viele andere komplett überflüssige Dinge auch.
Ich werde aber bereits ungehalten, wenn man mich zwingt, Dinge wahrzunehmen, die in meinem eigenen Universum keinen Platz haben. Wenn aber diese komplett überflüssigen Dinge auch nur zehn Minuten meines Alltags verhageln, dann werde ich richtig richtig sauer. Ist ja nicht so, als ob die tägliche Fahrerei im ÖPNV unter normalen Umständen ein Vergnügen wäre. Und im Unterschied zu denen, die mir hier den Morgen vermiesen, bin ich nicht zum Vergnügen hier.
Nee, is klar. Und das Datum der Messe dürfte auch kaum Zufall sein. Noch eine Woche Schulferien in NRW. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
Und warum die Bahn an ausgerechnet diesem Tag nur einen Halbzug einsetzt, das wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben.

Gruß

Haec tibi cum subeant, absim licet, omnibus annis
     ante tuos oculos, ut modo uisus, ero.
Ipse quidem certe cum sim sub cardine mundi
     qui semper liquidis altior extat aquis,
te tamen intueor, quo solo pectore possum,
     et tecum gelido saepe sub axe loquor.
Hic es et ignoras et ades celeberrimus absens
     inque Getas media iussus ab Vrbe uenis.
Redde uicem et, quoniam regio felicior ista est,
     istic me memori pectore semper habe.

Mag ich auch Jahr um Jahr fehlen – indem dir das alles zu Sinn kommt,
     werd ich vor deinem Blick stehn wie noch eben geschaut.
Sicher werd ich auch selbst, von unter der Angel des Globus,
     die übers klare Meer höher stets aufragt empor,
immer dich so anschaun wie ich’s kann: mit dem Herzen; und mit dir
     redend verbunden sein, unter der Achse, im Eis.
Ahnungslos bist du hier, bist abwesend häufiger Gast mir,
     eilst auf meinen Ruf gleich zu den Geten aus Rom.
Tu mir ein Gleiches, du, und da du im froheren Land bist,
     halte mich dort immer fest in deiner liebenden Brust.

(Ex Ponto II,10,43-52