Am Morgen deiner Abreise lief Mendelssohns Gondellied im Radio. Lange habe ich da gelauscht. Vornübergesunken und schief, wie ich auf dem Stuhl saß, habe ich über den Trillern und schaukelnden Triolen ins Nichts der Töne gestarrt, die Augen jenseits jeder Plane des Sichtbaren eingewurzelt, während ich dem weichen, klagenden Moll der Harmonien und den im Sog der eigenen Zwangsläufigeit fortschreitenden Akkorden folgte, atemlos, hingegeben, bezaubert, für den Moment alles andere vergessend. Wie lange das Stück dauerte, weiß ich nicht. Schon wollte es verklingen. Noch eine kleine Terz, ein schwebendes, trauriges Fallen zum Grundton, ein Weilchen derjenigen Ewigkeit, aus der alle Melodien geschöpft sind, und in die sie nach dem Verklingen jeder Musik wieder zurückfallen, wie Küsse, nachdem sich die Lippen voneinander gelöst haben. Ich lauschte in dieses Weilchen Ewigkeit hinein, bis es verstummte; und dann, im Auftauchen aus den Nachschwingungen der eben an die Luft abgelebten Klänge, hob ich den in die endliche Welt der Tatsachen wieder zu sich gekommenen Blick und sah nach dem Fenster. Ich wußte es noch nicht, aber in diesem Moment warst du schon abgereist, und mein Lebewohl würde dich nicht mehr erreichen. Ich schaute und atmete, im Ohr noch den letzten Mendelssohntriller, und da fiel wieder der Schnee: dicke Flocken, unzählige, und jede einzigartig, ihre eigene, nie zu wiederholende Geschichte in Kristall.
Plötzlich weinte jemand, und ich begriff, daß ich es selbst war, der weinte, und auch, daß die Musik noch gar nicht verstummt war: Eben verstummte sie. Ein letzter Leitton zur Dominante, ein letztes Seufzen der Tonika, noch eine Triole, ritardando, ehe auch dies, und nun endgültig erstarb, und lange Zeit nur das Fallen des Schnees zu hören war.