Das Kölner Urteil zur Beschneidung von Knaben verweist auf die prinzipielle Frage, ob Kinder vor den religiösen Ansichten ihrer Eltern zu schützen sind.
Ist es in Ordnung, wenn Eltern ihren Kindern weismachen, die Welt sei in sieben Tagen erschaffen worden und wer etwas anderes behaupte (“nur eine Theorie”) sei des Teufels? Vielleicht. Immerhin haben wir ja die Schulpflicht, um das wieder geradezubiegen. Ist es in Ordnung, das eigene Kind in komische Klamotten zu stecken, so daß es in der Schule zum Gespött der Mitschüler wird? Warum nicht, ein bißchen Anderssein stärkt den Charakter, könnte man sagen. Ist es in Ordnung, einem Kind von kleinauf einzureden, es sei sündig und schlecht und müsse bereuen, andernfalls es in die Hölle komme? Winken wir’s zähneknirschend durch. Gibt ja Therapeuten, die können das im Notfall wieder geradebügeln. Ist es in Ordnung, einem Knaben ein physiologisch entbehrliches Hautläppchen am Dödel wegzuschnippeln? Anästhesie und Wundpflege vorausgesetzt, na gut, wenn auch mit schwerem Seufzer. Ist es in Ordnung, einem Mädchen die Klitoris zu entfernen und es seiner sexuellen Genußfähigkeit zu berauben? Nicht mal unter Narkose, da ist man sich einig. Und ist es schließlich in Ordnung, einem Kind die überlebensnotwendige Blutkonserve vorzuenthalten, auf daß seine Seele nicht zugrunde gehe?
Irgendwo auf diesem Kontinuum verläuft die Grenze dafür, was Kindern an religiösem Brauchtum zugemutet werden darf und was nicht. Das Kölner Urteil könnte diese Grenze jetzt neu abgesteckt haben.

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  1. gute Fragen, auch wenn ich keine Antworten habe. Der Grat ist sicher schmal zwischen dem, was unsere Kultur ausmacht und dem, womit man Kinder verletzt und verhindert, dass sie einigermaßen unbeschädigt groß werden können.
    Schön wäre, wenn das Kölner Urteil zu einem Gespräch führen würde, zu einer Auseinandersetzung über diese Grenze. Aber es sieht nicht danach aus.

    1. Das ist auch ganz klar abhängig vom Status, den die jeweilige Religionsgemeinschaft hierzulande genießt. Wie ich Muriels Blogeintrag entnehme, ist beispielsweise Tätowierung verboten. Wäre es das auch, wenn Muslime und Juden ihre Knaben tätowierten und sich dabei auf einen jahrtausendealten Brauch beriefen?

    2. “Ist es in Ordnung, wenn Eltern ihren Kindern weismachen, die Welt sei in sieben Tagen erschaffen worden …….”

      “Ich denke, Kinder haben (wie jeder Mensch) einen (ethischen, nicht unbedingt rechtlichen) Anspruch darauf, nicht belogen zu werden, und nicht indoktriniert zu werden, sondern die Wahrheit über die Welt lernen zu können.”

      Die Frage hier ist nur, was ist die Wahrheit? Manche halten die Evolution für die Wahrheit. Andere merken sehr wohl, dass das nicht sein kann, sogar manche atheistische Wissenschaftler sind so ehrlich, zuzugeben, dass die Evolutionstheorie im grunde genommen nicht haltbar ist.

      So sagte der nichtchristliche Wissenschaftler Thomas H. Huxley in Anbetracht dessen, dass bis heute keine entsprechenden Fossilien oder lebende Exemplare von Übergangsformen gefunden wurden, treffend:

      »Die große und immer wiederkehrende Tragödie der Wissenschaft ist eine wunderschöne Hypothese, die von einer hässlichen Tatsache erwürgt wird.«

      Ich könnte mich jetzt genauso gut darüber aufregen, dass meinen Kindern in der Schule nun etwas als Wahrheit verkauft wird, was wissenschaftlich überhaupt nicht gesichtert ist (es gibt da eine Menge Beispiele)

      Ich kann mich nun nicht dagegen wehren, dass das meinen Kindern beigebracht wird und wurde, ist nun mal im Lehrplan. Ich finde und fand es auf der anderen Seite aber auch gar nicht verkehrt, dass sie damit konfrontiert wurden. Es ist durchaus nicht von Nachteil, darüber Bescheid zu wissen, was von atheistischer Seite so gelehrt wird über die Entstehung der Welt und des Lebens. Man kann das dann mit dem eigenen Glauben sehr schön abgleichen und kommt am Ende zu dem Ergebnis, dass es überhaupt keinen Grund gibt, am Schöpfungsbericht zu zweifeln.

      Das ist eigentlich der Vorteil in einem christlichen Elternhaus aufzuwachsen und gleichzeitig in einem atheistischen Schulsystem, man ist über beide Seiten informiert und kann sich ein eigenes Urteil bilden. Meinen Kindern hat das nicht geschadet.

      Noch ein sehr bekanntes Zitat eines Atheisten:

      »Die Evolution ist unbewiesen und unbeweisbar. Wir glauben aber daran, weil die einzige Alternative dazu der Schöpfungsakt eines Gottes ist, und das ist undenkbar.«
      Sir Arthur Keith (1866-1955), englischer Anatom und Anthropologe.

      Es gibt keinen intellektuellen Grund nicht an Gott zu glauben.

      »An Gott glauben nur diejenigen nicht, die ein Interesse daran haben, dass es keinen geben möchte.« (Francis Bacon)

      PS: An die Evolutionstheorie zu glauben, dazu gehört ein größerer Glaube als meiner ist.

      Und übrigens, die Beschneidung von Mädchen (die zu Recht zu verurteilen ist) ist eher kulturell begründet und hat nichts mit Religion zu tun. 😉

  2. Hm…
    Also, dass es nicht in Ordnung ist, halte ich (wenn man ansonsten über die Tatsachen Einigkeit herrscht) für evident.
    Fraglich ist nur, ob man dem nicht ein größeres Übel entgegensetzt, wenn man Eltern unter Gewaltandrohung zu detailliert vorschreibt, wie sie mit ihren Kindern umzugehen haben, und das ist in der Tat keine ganz einfache Frage, wenn auch für mich das Abschneiden von Körperteilen weit jenseits der Toleranzgrenze liegt.

    1. Ich halte es im Falle der Beschneidung (Tätowierung, Schmuckvernarbung, Ohrlöcherung …) auch für evident. Interessant finde ich aber darüber hinaus, was herauskommt, wenn man das ganze verallgemeinert. Im Grunde führt das dann auf die (radikale) Frage, ob Kinder nicht sozusagen ein Recht auf agnostische Erziehung haben.

      1. Das kommt jetzt darauf an, was du unter “agnostisch” verstehst. Das, was ich als Agnostiker kenne, würde ich meinem schlimmsten Feind nicht als Elternteil zumuten wollen, aber es gibt bestimmt auch nette Leute, die sich so nennen.
        Ich denke, Kinder haben (wie jeder Mensch) einen (ethischen, nicht unbedingt rechtlichen) Anspruch darauf, nicht belogen zu werden, und nicht indoktriniert zu werden, sondern die Wahrheit über die Welt lernen zu können.
        Da wird dann die Grenzziehung vielleicht manchmal ein bisschen schwierig, aber im Großen und Ganzen ist das ein handhabbarer Anspruch.

        1. Meine Eltern waren Agnostiker, und sie waren gute Eltern. (Wobei ich zwischen “gut” und “immer pädagogisch weise” durchaus unterscheide. Aber christliche Eltern sind ja auch nicht notwendig hochbegabt in KIndererziehung.)
          Ich glaube, der Prozentsatz an Agnostikern, die man keinem Kind zumuten sollte, und an Christen, für die das Gleiche gilt, ist etwa gleich hoch.

          Es ist einem Kind in Deutschland ganz offiziell zumutbar, in dem Glauben aufzuwachsen, es sei ein Zufallsprodukt und könne genauso gut nicht sein wie sein. Rituell zu bekräftigen, daß dies Kind von höchster Instanz gewollt ist, gilt nicht mehr als zumutbar.

  3. Wie gut, daß bei der Taufe kein Blut fließt.

    Rückblickend kann ich sagen, daß es gut war, in einem System mit Werten, Traditionen und Riten aufzuwachsen; und gut war es, weil diese keinen dogmatischen Charakter hatten und immer wieder überdacht und in Beziehung gesetzt wurden.

    Da Erfahrungen nicht übertragbar sind, würde ich da gern empirisch rangehen — Beschnittene / Unbeschnittene befragen, längsschnittlich begleiten etc. …

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