Sehr geehrter Herr Rektor,
vielen Dank für den freundlichen Weihnachtsgruß – oder sollte ich sagen: für den Jahreszeitengruß? Ich muß gestehen, daß mich die Wortwahl befremdet. In der dem Bekenntnis nach atheistischen DDR blühten einst recht einfallsreiche Neologismen für zur Sphäre der Religion gehörende Gegenstände und Erscheinungen. Da nun mal Ostern oder Weihnachten nicht aus der Welt zu schaffen waren, wollte man zumindest die Bezeichnungen jeglichen religiösen An- und Beiklangs entkleiden. Gerüchten zufolge soll beispielsweise eine Engelspuppe als „Jahresendzeitflügelfigur“ tituliert worden sein.
Ihre Grußkarte und die Entscheidung, sich um das Wort “Weihnachten“ zu drücken, läßt ein bißchen daran denken.
Meines Erachtens begingen die damaligen Machthaber und begehen nun auch Sie, verehrter Herr Rektor, einen Denkfehler. Nicht „Weihnachten“ zu sagen, ist ein Bekenntnis (das Sie, und dafür habe ich vollstes Verständnis, nicht aussprechen wollen), sondern die Vermeidung des Begriffs ist eines. Warum? Weil auf dem Wege des Verschweigens bzw. durch das Absichtsvolle Ihres Ausweichens die Bedeutung ersichtlich wird, die für Sie das Fest als religiöse Einrichtung hat.
Wem glauben Sie denn, es auf diese Weise recht zu machen? Bekennenden Christen? Die werden sich ärgern, weil für sie die Festtage eben nicht einfach nur Festtage sind und Jahreszeitentage schon gar nicht. Die Bekennenden anderer Religionen? Denen kann ein Gruß, der auf ein Fest Bezug nimmt, das sie nichts angeht, herzlich egal sein. Sie würden also mit echten Weihnachtsgrüßen die einen erfreuen, die anderen aber auch nicht ärgern. Sehen Sie mal, Weihnachten ist ja schließlich kein Allergen, vor dem man warnen muß. Niemand bekommt Pickel von einem Weihnachtsgruß, auch nicht, wer ans Christkind nicht glaubt oder an etwas anderes oder an gar nichts. Weihnachten ist vor allem eins: Ein Wort, das zwei Tage im modernen Kalender bezeichnet.
Aber anders gefragt: Muß man es denn jedem recht machen? Dann dürfte es Weihnachtsansprachen im Fernsehen ebensowenig geben wie Weihnachtsmärkte oder Werbung im öffentlichen Raum, die sich auf den Brauch des weihnachtlichen Geschenkemachens bezieht. Weihnachtsliedbeschallung im Kaufhaus, geschmückte Fußgängerzonen, Christbäume in Ämtern und Bahnhofshallen – all das müßte mit dem gleichen vorauseilenden Gehorsam vermieden werden wie die Bezeichnung „Christmas“ auf Ihrer Karte. Schließlich könnte der Klang von Oh Kinderlein kommet, wenn er vom Karussell durch die Glühweinschwaden dringt, Andersgläubige in ihren religiösen Gefühlen verletzen! Und auch Sie haben es sich ja nicht nehmen lassen, auf der Karte einen geschmückten Baum vor die Kulisse des Hauptgebäudes zu placieren. Wäre da das Wort „Christmas“ statt „Season’s“ oder „Weihnachten“ anstelle von „Festtage“ wirklich so schlimm gewesen?
Da unser Kulturkreis nun mal, ob es uns nun gefällt oder nicht, christlich geprägt ist, feiert man in Köln und anderswo in Europa Ende Dezember Weihnachten. Als nicht mehr wegzudenkender Teil der Populär- und Familienkultur, aber auch mit seinem festen Platz im öffentlichen Leben, in Medien und Kommerz, hat es sich von seinen religiösen Wurzeln emanzipiert und führt schon längst ein derart profanes Eigenleben, daß sich mit dem Wunsch „Frohe Weihnachten“ alle, von Juden über Muslime und Zoroastrier bis zu den Shintoisten und Atheisten und wieder zurück, angesprochen fühlen dürfen. Von den christlichen Ursprüngen ist ja außer Ochs und Esel unterm geschmückten Baum meist nicht viel übrig geblieben. Das ist weder gut noch schlecht. Was auf jeden Fall blieb, ist aber eben die bloße Bezeichnung „Weihnachten“. Das Fest heißt so, ob man nun an den Weihnachtsmann oder an Russels Teekanne glaubt oder an den Messias oder eben an gar nichts: Es ist sein Name.
Ich weiß nicht woran Sie, sehr geehrter Herr Rektor, glauben, und es ist mir auch ganz gleichgültig. Aber ich finde, man darf sich auf das fragliche Fest durchaus mit dem Wort „Weihnachten“ beziehen (auch der gesetzliche Feiertag heißt ja so), ohne sich deshalb schon dem Vorwurf religiöser Parteinahme, mangelnder Feinfühligkeit oder gar Intoleranz ausgesetzt zu sehen. Auch Sie dürfen das. Nennen Sie doch die Dinge einfach beim Namen. Es kann dann immer noch jeder für sich entscheiden, was er darunter verstehen will.
Hochachtungsvoll,
Solminore
Ich weiss zwar nicht genau, was der Rektor geschrieben hat, aber vorlaeufig verstehe ich den Anlass dieses offenen Briefs nicht.
Was befremdet so sehr an der Wortwahl? Wenn ein Schreiben auch an Leute gerichtet ist, die mit Weihnachten nichts am Hut haben, ist es doch keine abwegige Idee, eine neutrale Formulierung zu waehlen.
Ich wuensche doch auch nicht wildfremden Leuten alles Gute zum Geburtstag, nur weil ich vielleicht meinen feiere.
Der Rektor vermied das Wort “Weihnachten” bzw. “Christmas”, um, wie ich vermute, nur ja niemandem glaubensmäßig auf den Fuß zu treten. Ich finde das albern, weil, um mich hier zu wiederholen, das Fest nun einmal so heißt und ja alle, die hier arbeiten, auch gleichermaßen arbeitsfrei haben, ja sogar im handelsüblichen Kalender steht “Weihnachten”, wer hätte das gedacht? Also kann man auch jedem frohe Weihnachten wünschen, denn es betrifft ja doch alle, egal, woran sie glauben. Ich vermeide ja auch das Wort “Schokolade” nicht, nur weil nicht jeder Schokolade mag.
Kann man dieses Schreiben online irgendwo lesen? Ich würde ja einerseits gerne mitreden, traue mir das aber nur bedingt zu, ohne es zu kennen.
Das Schreiben ist die Grußkarte, die am Schluß abgebildet ist. Es ging wirklich nur um die ausweichende Phrase “Season’s Greetings”. Es mag sein, daß damit nicht viel mehr als nur ein Weihnachten und Neujahr zusammenfassender Gruß gemeint ist; ist argwöhne aber, es steckt mehr dainter.
Oh, wie dumm von mir. Ich bitte um Entschuldigung. Das Bild war mir nicht aufgefallen.
Wenn das alles ist, verstehe ich deinen Beitrag aber wirklich nicht. Ich dachte jetzt, es gehe um einen längeren Text, in dem wirklich auffiel, dass der Begriff Weihnachten vermieden wird, obwohl er eigentlich benötigt würde.
Diese Karte ist doch aber das klassische Beispiel für das, was ich in meinem ursprünglichen Beitrag gemeint hatte. Natürlich darf man Schokolade auch in Gesprächen mit Leuten erwähnen, die sie nicht mögen. Aber wenn ich weiß, dass jemand nicht essen gehen wird, wünsche ich ihm keinen guten Appetit, und wenn ich weiß, dass jemand nicht Weihnachten feiert, wünsche ich ihm keine frohe Weihnacht.
Wenn jetzt Leute kritisiert werden, weil sie den Begriff “Weihnachten” benutzen, kann ich noch verstehen, dass man das falsch findet. Aber wenn jemand in einem öffentlichen Gruß an eine gemischte Gruppe einfach nur nicht von einem bestimmten religiösen Fest spricht, sondern allgemein bleibt, finde ich dass nicht kritikwürdig.
Vielleicht bin ich aber auch einfach nur selbst zu sehr auf Fox News’ War Against Christmas eingestimmt und mache deshalb nun selbst aus einer Mücke einen Elefanten. Man weiß das ja nie so genau.
Ich empfinde es als ein Zeichen von Feigheit, “Season’s Greetings” auf eine offiziellen Weihnachtsgrußkarte zu schreiben. Bloß keine Kontroverse, bloß nicht aushalten müssen, dass sich jemand – warum auch immer – beschwert. Bloß nicht für seine eigene Meinung einstehen müssen.
Aber es bedeutet eben doch noch mehr: Erstens, dass Weihnachten inzwischen soviel von seiner sinnstiftenden und religiösen Bedeutung verloren hat, dass eben nichts mehr übrig ist, wofür man einstehen könnte. Und zweitens, dass kein Einvernehmen darüber besteht, was die Lücke schließen soll, die dadurch (bzw. durch das Verschwinden von Religion als Grundlage des Zusammenlebens) zurückgelassen wird.
Und was folgt daraus? Nun, wir alle, als Gesellschaft, müssen uns darüber einigen, wie wir zusammenleben wollen und welche Werte dem zugrundeliegen. Das ist keine einfache Aufgabe, und wenn es eine Sache gibt, die dabei nicht hilfreich ist, dann ist es Feigheit.
Woher weißt du denn, dass die eigene Meinung hier pro Weihnachten gewesen wäre, wenn der Rektor die Kontroverse nicht gescheut hätte?
Muriel, Sie haben natürlich insofern Recht, dass ich letzlich nicht wissen kann, warum genau der Rektor Mitte Dezember 2011 plötzlich das Bedürfnis verspürte, eine Grußkarte mit einem Tannenbaum drauf zu verschicken.
Aber die Annahme, dass das irgendetwas mit Weihnachten zu tun hatte, liegt eben doch sehr nahe.
Es hatte wahrscheinlich auch noch mit vielen anderen Dingen zu tun, eventuell auch mit dem Ende des alten und dem Beginn des neuen Jahres, oder damit, dass er gerne den Adressatinnen gute Wünsche zukommen lassen wollte und den Eindruck erwecken, es werde an sie gedacht. Und weil er weiß, dass nicht alle von denen Weihnachten feiern (und es vielleicht selbst auch nicht tut), und weil er den Jahreswechsel auch gleich mit einschließen will, könnte er entschieden haben, ihnen frohe Feiertage zu wünschen.
Ich mach das zum Beispiel auch so, und ich versichere dir, es hat nichts mit Konfliktscheu zu tun.
Muriel, ich kenne Sie nicht und will Ihnen bestimmt nicht zu nahe treten, aber Ihrer Erklärung, Sie wünschen Ihren Freunden und Bekannten vor Weihnachten frohe Feiertage, weil Sie nicht wissen, ob sie eben diese Feiertage feiern, finde ich schwer nachzuvollziehen.
Im Übrigen bin ich natürlich der Meinung, dass Sie das halten können, wie Sie wollen und nicht mir und auch sonst niemandem irgendwelche Erklärungen schuldig sind – ganz im Gegensatz zum Rektor einer öffentlichen Universität.
Ich erkläre gerne, was du schwer nachvollziehbar findest. Frag ruhig einfach, falls es dich interessiert.
Was mich interessieren würde: Du findest, der Rektor einer Universität sei dir eine Erklärung dafür schuldig, dass er Frohe Festttage auf seine Grußkarten schreibt? Darf ich fragen, welche Kriterien genau dahinter stehen? Siehst du eine Pflicht für solche Personen, anderen frohe Weihnachten zu wünschen, auch wenn sie das nicht wollen? Oder wie meinst du das?
Muriel, Danke für Ihre Nachfrage. Nein, der Rektor der Kölner Universität ist mir persönlich nichts schuldig.
Okay, danke. Aber wem dann, und was, und so? Du scheinst doch zu finden, dass er was Hasch gemacht hat und sich dafür rechtfertigen sollte, oder hab ich das ganz missverstanden?
Muriel, bitte, gerne. Was ich davon halte, aus Rücksicht auf Menschen, die kein Weihnachten feiern, Weihnachtsgrüße zu verschicken, auf denen das Wort Weihnachten vermieden wird: s.o. Zu guter Letzt: Ja, ich bin der Meinung, dass es ein Unterschied ist, ob solche Karten von einer privaten Person oder im Namen eines öffentlichen Amtes verschickt werden. In diesem Fall finde ich es in Ordnung, das öffentlich zu thematisieren und zu diskutieren. Finde ich, dass eine Erklärung seitens des Rektors angebracht (gewesen) wäre? Unbedingt. Bedeutet das, dass er mir persönlich eine solche schuldig ist? Wohl kaum.
Ja gut, aber du hast doch selbst gemerkt, dass wir jetzt wieder da sind, wo wir oben schon waren, nämlich bei meiner sinngemäß genau so bereits gestellten Frage: Woher weißt du denn überhaupt, dass er es auch Rücksicht gemacht hat? Vielleicht macht er es (wie ich) aus tiefer, evangelikaler innerer Überzeugung.
Zweitens ist mir auch nicht ganz klar, wofür oder -gegen Feigheit ein Argument wäre. Wenn ich aus Rücksicht auf Menschen, die eher auf traditionelle Anreden in Briefen stehen meine geschäftlichen Briefe nicht mit “Hey du” beginne, ist das dann auch feige von mir und bedarf einer Rechtfertigung (zumindest, wenn ich in öffentlicher Funktion tätig bin), oder geht das in Ordnung?
Und, wie soll ich sagen, zumindest in der Diskussion hier hat man den Eindruck, dass die Kontroverse, die man auszuhalten hat, bei so einer Karte nicht unbedingt weniger Mut erfordert als bei einer traditionelleren, auf der explizit irgendwas mit Weihnachten steht. Woran erkenne ich, wann ich mit einem bestimmten Verhalten Feigheit demonstriere und es deshalb unterlassen sollte?
Also, ich schätze, worauf ich am Ende hinaus will: Wem entsteht denn ein Schaden dadurch, dass da auf der Karte “Frohe Festtage” steht? Inwiefern ist es problematisch, so eine Karte zu verschicken? Welche Kriterien legst du da an?
Muriel, ich entnehme Ihrem Kommentar, dass das bisher von mir Geschriebene Ihre ursprüngliche Frage für Sie nicht beantwortet hat, und Sie darüber hinaus noch weitere Fragen haben.
Meine Bereitschaft, mich auf Ihre Fragen einzulassen, ist hiermit erschöpft. Leben Sie wohl.
Stephan
Ist natürlich schade, dass Sie mir nicht mehr antworten mögen, aber Sie sind mir persönlich natürlich überhaupt nichts schuldig, deswegen bleibt mir nur der Dank für den Versuch einer Verständigung, so weit er eben reichte.