Wahnsinnige Gereiztheit, über alles und jeden, über die Art- und Zeitgenossen, ihre stumpfe Passivität und ihr Treibenlassen, ihren blöden Lärm (als würden sie dadurch irgend wichtiger, daß sie laute Geräusche machen); Wut über ihre Belanglosigkeit – aber auch Wut über mich selbst, und wäre ich eine Flasche, ich würde mich so gern selbst gegen die Wand schleudern; Enttäuschung über soviel Kleinmütigkeit in mir, Angst, Bequemlichkeit: Hätte ich nicht doch lieber mit dem Zelt losstapfen sollen? Zu spät! Falsch entschieden! Ich möchte am liebsten eine Flasche Schnaps in einem Zug austrinken, mir damit auf grandiose Weise selbst zu schaden – um mich hernach trefflich im Katzenjammer selber bemitleiden zu können.
Draußen rummst und kracht es, und es fühlt sich an, als wär’s erst gestern gewesen, als es zuletzt soweit war. Diese Vorhersagbarkeit: Sobald die ersten Böller im Laden sind, wird gerummst, jedes Jahr dasselbe, man könnte aus dem mählichen, dann raschen Anstieg der Explosionshäufigkeit bis Mitternacht eine Exponentialfunktion malen. Es kommt mir alles so ermüdend unabänderlich, in seiner voraussagbaren Wiederholung so abtötend schal vor.
Ich kleistere mir jetzt die Ohren zu und gehe schlafen. Gute Nacht. Nächstes Jahr wird alles anders. So wie all die Jahre zuvor auch schon.
Monat: Dezember 2011
Ganz überraschend eine Umarmung bekommen. Eigentlich bin ich ja nicht so der große Umarmer. Aber die fühlt sich richtig gut an.
Betr. Kulturradio
Sehr geehrte WDR3-Nachrichtenredaktion,
wenn Sie bitte diese enthusiastisch vorgetragenen Fußballmeldungen aus den Nachrichten streichen würden. Das wäre wirklich super. Oder, wenn das schon nicht möglich ist, dann bemühen Sie sich doch bitte um einen neutralen Vortragston. Das wäre dann zwar immer noch Fußball, würde aber weit weniger nerven. Man könnte so leichter weghören.
Vielen Dank!
Ihr treuer Hörer
Solminore
Solstitium
Bis an die Farbe des Wegs, und zum Monat mit Tagen und Talern,
schmeckt es nach Aufbruch. Am Eis, längs eines Saumpfads am Sturm,
wächst eine Stunde sich fest. Wo grad ein Läuten noch fortrief,
halten die Jahre jetzt an, halten die Grenze zum Wort.
Dem Rektor der Universität zu Köln
Sehr geehrter Herr Rektor,
vielen Dank für den freundlichen Weihnachtsgruß – oder sollte ich sagen: für den Jahreszeitengruß? Ich muß gestehen, daß mich die Wortwahl befremdet. In der dem Bekenntnis nach atheistischen DDR blühten einst recht einfallsreiche Neologismen für zur Sphäre der Religion gehörende Gegenstände und Erscheinungen. Da nun mal Ostern oder Weihnachten nicht aus der Welt zu schaffen waren, wollte man zumindest die Bezeichnungen jeglichen religiösen An- und Beiklangs entkleiden. Gerüchten zufolge soll beispielsweise eine Engelspuppe als „Jahresendzeitflügelfigur“ tituliert worden sein.
Ihre Grußkarte und die Entscheidung, sich um das Wort “Weihnachten“ zu drücken, läßt ein bißchen daran denken.
Meines Erachtens begingen die damaligen Machthaber und begehen nun auch Sie, verehrter Herr Rektor, einen Denkfehler. Nicht „Weihnachten“ zu sagen, ist ein Bekenntnis (das Sie, und dafür habe ich vollstes Verständnis, nicht aussprechen wollen), sondern die Vermeidung des Begriffs ist eines. Warum? Weil auf dem Wege des Verschweigens bzw. durch das Absichtsvolle Ihres Ausweichens die Bedeutung ersichtlich wird, die für Sie das Fest als religiöse Einrichtung hat.
Wem glauben Sie denn, es auf diese Weise recht zu machen? Bekennenden Christen? Die werden sich ärgern, weil für sie die Festtage eben nicht einfach nur Festtage sind und Jahreszeitentage schon gar nicht. Die Bekennenden anderer Religionen? Denen kann ein Gruß, der auf ein Fest Bezug nimmt, das sie nichts angeht, herzlich egal sein. Sie würden also mit echten Weihnachtsgrüßen die einen erfreuen, die anderen aber auch nicht ärgern. Sehen Sie mal, Weihnachten ist ja schließlich kein Allergen, vor dem man warnen muß. Niemand bekommt Pickel von einem Weihnachtsgruß, auch nicht, wer ans Christkind nicht glaubt oder an etwas anderes oder an gar nichts. Weihnachten ist vor allem eins: Ein Wort, das zwei Tage im modernen Kalender bezeichnet.
Aber anders gefragt: Muß man es denn jedem recht machen? Dann dürfte es Weihnachtsansprachen im Fernsehen ebensowenig geben wie Weihnachtsmärkte oder Werbung im öffentlichen Raum, die sich auf den Brauch des weihnachtlichen Geschenkemachens bezieht. Weihnachtsliedbeschallung im Kaufhaus, geschmückte Fußgängerzonen, Christbäume in Ämtern und Bahnhofshallen – all das müßte mit dem gleichen vorauseilenden Gehorsam vermieden werden wie die Bezeichnung „Christmas“ auf Ihrer Karte. Schließlich könnte der Klang von Oh Kinderlein kommet, wenn er vom Karussell durch die Glühweinschwaden dringt, Andersgläubige in ihren religiösen Gefühlen verletzen! Und auch Sie haben es sich ja nicht nehmen lassen, auf der Karte einen geschmückten Baum vor die Kulisse des Hauptgebäudes zu placieren. Wäre da das Wort „Christmas“ statt „Season’s“ oder „Weihnachten“ anstelle von „Festtage“ wirklich so schlimm gewesen?
Da unser Kulturkreis nun mal, ob es uns nun gefällt oder nicht, christlich geprägt ist, feiert man in Köln und anderswo in Europa Ende Dezember Weihnachten. Als nicht mehr wegzudenkender Teil der Populär- und Familienkultur, aber auch mit seinem festen Platz im öffentlichen Leben, in Medien und Kommerz, hat es sich von seinen religiösen Wurzeln emanzipiert und führt schon längst ein derart profanes Eigenleben, daß sich mit dem Wunsch „Frohe Weihnachten“ alle, von Juden über Muslime und Zoroastrier bis zu den Shintoisten und Atheisten und wieder zurück, angesprochen fühlen dürfen. Von den christlichen Ursprüngen ist ja außer Ochs und Esel unterm geschmückten Baum meist nicht viel übrig geblieben. Das ist weder gut noch schlecht. Was auf jeden Fall blieb, ist aber eben die bloße Bezeichnung „Weihnachten“. Das Fest heißt so, ob man nun an den Weihnachtsmann oder an Russels Teekanne glaubt oder an den Messias oder eben an gar nichts: Es ist sein Name.
Ich weiß nicht woran Sie, sehr geehrter Herr Rektor, glauben, und es ist mir auch ganz gleichgültig. Aber ich finde, man darf sich auf das fragliche Fest durchaus mit dem Wort „Weihnachten“ beziehen (auch der gesetzliche Feiertag heißt ja so), ohne sich deshalb schon dem Vorwurf religiöser Parteinahme, mangelnder Feinfühligkeit oder gar Intoleranz ausgesetzt zu sehen. Auch Sie dürfen das. Nennen Sie doch die Dinge einfach beim Namen. Es kann dann immer noch jeder für sich entscheiden, was er darunter verstehen will.
Hochachtungsvoll,
Solminore
Traurig: Die Gestalten, die morgens um neun im Jogginganzug an der Supermarktkasse stehen und eine Literflasche mazedonischen Rosé mit Leergutquittungen bezahlen. Die Kapuze über dem Kopf, bemühen sie sich, unsichtbar zu werden, als hätten sie sich im Nachthemd in die Oper verirrt, dabei würdigen sie die Flasche Wein auf dem Kassenband keines Blickes, als gehörte das da nicht zu ihnen, als wäre es anderer Leute Ware. (Erst nach dem Verrechnen der Bons greifen sie danach, wie unschlüssig, ob sie‘s mitnehmen sollen oder nicht. Und wenn sie es dann tun, dann hat das die Beiläufigkeit, mit der man sich einen Krümel vom Ärmel schnippt, wenn sie schonmal da liegt, dann kann man sie ja wohl auch mitnehmen, nicht? So bekommt die Beiläufigkeit fast noch einen Anhauch von kindlichem Trotz) Im Jogginganzug zu stehen und zu warten, da dauert es besonders lange. Unerkannt der Blick aus den Höhlen des Kapuzenpullis. Eine Jogginghose als Sinnbild des ganzen Lebens: Zerknautscht, schlabberig, befleckt, hängt es einem ständig auf halb acht. Immer die Hand am Bund, in einem ziehenden, festhaltenden Impuls. Ausgeleiert und ausgebeult an Stellen geschwundenen Fleisches, kriegt man es einfach nicht in den Griff. Abgemagert paßt man nicht mehr hinein ins eigene Leben, ist es zu groß geworden, mit seinen nicht enden wollenden Jahren.
Der Schriftsteller Thódoros Kallifatídis in der Zeitschrift Avgí
… μπορεί όντως να μη βρίσκει κανείς το λόγο σήμερα να διαβάσει την “Απολογία του Σωκράτη” αλλά όταν φτάσουμε στο σημείο αυτό, ήδη έχουμε χάσει τη μάχη. Τελικά η κουλτούρα, η παιδεία είναι η υπέρβαση του αναγκαίου, χωρίς αυτή την υπέρβαση δεν νοείται πολιτισμός.
Kann tatsächlich sein, daß niemand heutzutage noch einen Grund sieht, die „Apologie des Sokrates“ zu lesen, aber wenn wir einmal soweit sind, haben wie die Schlacht bereits verloren. Schließlich sind Kultur und Erziehung die Transzendenz des Notwendigen. Ohne diese Transzendenz läßt sich Kultur nicht denken.
Πότε ένας συγγραφέας φτάνει στο σημείο να πει “τώρα πέτυχα τον στόχο μου”;
Αυτή είναι η πιο συνηθισμένη φράση των συγγραφέων. Τη λένε σε κάθε φράση που γράφουνε, αυτό είναι το αίσθημά τους, έτσι προχωρούν. Γι’ αυτό όμως ο συγγραφέας χρειάζεται και την κριτική, γιατί δεν είναι αυταπόδεικτο ότι πετυχαίνει πάντα τον σκοπό του. Ας το συγκρίνουμε με μια άλλη κατάσταση, εκεί που κάθεσαι ακούς ένα τραγούδι και ξαφνικά σηκώνεσαι και χορεύεις, χορεύεις καλά ή κακά, δεν είναι το ζητούμενο αυτή τη στιγμή, το ζητούμενο είναι ότι κάνεις αυτό που αισθάνεσαι. Αυτό αυτόματα δε σημαίνει ότι είσαι και Μπαρίσνικοφ. Έτσι γράφεις. Αλλά δεν μπορείς να γράψεις χωρίς αυτή τη βεβαιότητα, δεν γίνεται και γι’ αυτό ίσως πολλοί συγγραφείς να μη γράφουν. Οι περισσότεροι άνθρωποι άλλωστε που δε δημιουργούν δεν είναι γιατί δεν έχουν ταλέντο, αλλά από φόβο.
Wann erreicht der Schriftsteller den Punkt, an dem er sagt: „Ich habe mein Ziel erreicht“?Das zu sagen, ist für Schriftsteller ganz normal. Das sagen sie bei jeder Formulierung, die sie hinschreiben, so empfinden sie, auf diese Weise kommen sie voran. Deshalb aber braucht der Schriftsteller die Kritik, denn es ist ja gar nicht ausgemacht, daß er immer sein Ziel erreicht. Nehmen wir eine andere Situation zum Vergleich, da sitzt einer und hört Musik und plötzlich springt er auf und beginnt zu tanzen, er tanzt gut oder schlecht, darum geht es in dem Moment nicht, worum es geht, ist, daß er tut, was er fühlt. Das bedeutet natürlich nicht, daß man dadurch automatisch zu einem Baryshnikov wird. Und so ist es auch mit dem Schreiben. Man kann ohne diese Gewißheit nicht schreiben, es geht nicht, und viele Schriftsteller tun es deshalb vielleicht auch nicht. Übrigens sind die wenigsten Menschen unkreativ, weil sie kein Talent haben, sondern weil sie sich nicht trauen.
Amores, I 2, 31f
Mens Bona ducetur manibus post terga retortis,
et Pudor, et castris quidquid Amoris obest.
Sinn und Verstand ziehen drein, die Hände am Rücken gefesselt,
Wie auch die Scham und was sonst zieht gegen Amor zu Feld.
Ovid, Amores I 2, 17f
acrius invitos multoque ferocius urget
quam qui servitium ferre fatentur Amor.
Härter nimmt ran, die sich sträuben, und auch noch wüster bei weitem
Amor, als die bereit, willig zu tragen das Joch.
Was sich zeigt
Was zunimmt, die Stunden. Was wach ist, die Glocken. Was von sich weiß, der Raum. Was abkürzt, die Straße. Was zwinkert, der Himmel. Was Krach schlägt, das Ohr. Was schläft, ein Traum. Was vergißt, ein Wort. Was wartet, eine Türschelle. Was spricht, Grammatik. Was küßt, der Regen. Was sieht, ein Fenster. Was kommt, eine Treppe. Was Liebe macht, eine Matratze. Was flackert, die Wand. Was lächelt, eine Haltestelle. Was liebt, ein Sommer. Was fortgeht, eine Treppe. Was zunimmt, die Stunden. Die Stunden. Was sich erinnert, die Jahre. Was abnimmt, der Grund und die Gründe. Was müde ist, alles.