Arrepto itaque ferro, quo accinctus erat, mediam dividit partemque eius pauperi tribuit. (Sulpicius Severus)

Da ist das Pferd, das Knechttier, ja besser dran als der Mensch, wie er verfroren, nackt und schmal dasteht, buchstäblich in die Ecke gedrängt von der Masse dieses starken Gauls: Strotzend vor Kraft hebt es schwungvoll ein Bein, voller Bewegungsdrang und Energie, eine Kreatur des Krieges und der Gewalt. Während der Bettler nicht nur keine Kleidung hat (schamhaft verhüllt der noch zu teilende Mantel schonmal das Schamteil des armen Mannes), sondern auch noch verletzt ist, am Bein, wie der Verband zeigt, gehbehindert und gerade in der Bewegung eingeschränkt, die das Tier so stolz vollführt und präsentiert, als wolle es ihn noch verspotten, obwohl es doch selbst nur eine dienende Kreatur ist: So tief ist der Mensch gesunken. Ein leichtfertiger Schritt zur Seite, und die nackten Füße des Bettlers geräten noch unter die Hufe, dann wärs ganz aus mit dem Gehen.
An den Rand gedrängt: an den Rand einer Gesellschaft, in der Kampf herrscht, in der nur bestehen kann, wer sich wie ein starkes Arbeitstier als leistungsfähig erweist. Einer Gesellschaft, in der auch der Heilige aufgewachsen und in der er noch heimisch ist. Noch sitzt er hoch zu Roß, lenkt das Tier, das den Bettler wegschiebt. Vom Krieg spricht der enge Harnisch des Heiligen ebenso wie das prächtige Roß und die Burgen im Hintergrund: Die haben geradezu etwas Unausweichliches, selbst die Landschaft ist Schauplatz für bewaffnete Auseinandersetzung. Die barmherzige Begegnung spielt sich in einer Welt ab, in der man sich mittels Rössern und Mauern verteidigen und schützen muß. Darin hat ein nackter Bettler nichts zu lachen. Schlimm genug, daß die aufziehende Bewölkung Schnee verheißt.
Aus diesem engen Harnisch, diesem paßgenauen Panzer, ragt der schmale Kopf des Heiligen mit den weichen Zügen wie eine Schnecke aus ihrem Haus. Die Gesichtsfarbe ist blaß, das Antlitz verletzbar, die großen Augen blicken sanftmütig drein, es sind Augen, so scheint es, die nicht viel verkraften, die vielleicht schon mehr gesehen haben, als ihrem Besitzer lieb gewesen. Eine Trauer liegt darin. Der Blick lächelt nicht. Der Kopf ist zur Seite, dem Bettler zugeneigt, die Geste ein bißchen ratlos, mitleidsvoll, ja, aber eher pessimistisch. Ich tue ja, was ich kann, aber bringen wird es nichts. Und während der Bettler zu Martin auf-, Martin auf den Bettler hinuntersieht, scheinen sich ihre Blicke nicht so richtig zu treffen, nicht ganz: Der Blick des Bettlers scheint auf halber Höhe an der imposanten Rüstung hängengeblieben; Martin ist mehr mit dem Schwert und der Mantelteilung beschäftigt (und muß mit der selben Hand Mantel und Zügel, zugleich das ungestüme Roß im Zaum halten wie das Schwert führen – so wie das aussieht, keine ganz einfache Prozedur), als daß er den Bettler wirklich wahrnimmt. Dieser mißglückte Blickkontakt verleiht der Begegnung etwas Beiläufiges – und für Martin etwas Instinktives, er scheint die Hintergründe und Konsequenzen seines Handelns in diesem Moment ebensowenig in den Blick zu bekommen wie die Person des Bettlers. Im nächsten Moment wird er schon davongeprescht sein. Und tatsächlich wird ihm ja erst in der nächsten Nacht Christus im Traum erscheinen und ihm, gehüllt in den geteilten Mantel, die Begegnung und Martin sich selbst deuten.
Vorerst stehen die Zeichen auf Sturm, sieht Martin unglücklich aus, seines Lebensweges nicht sicher. Die Wolken künden von schlechtem Wetter, von den Burgen scheint schon als Ankündigung von Katastrophe und Untergang Rauch aufzusteigen. Die Zeichen stehen auf Sturm. Es kommen härteren Zeiten.
Wer hilft hier wem? Martin, etwas verloren auf dem Roß und beengt in seiner Rüstung, scheint, wie er da unbeholfen mit Schwert, Mantel und Zaumzeug hantiert, den Bettler kaum weniger nötig zu haben, als dieser den Heiligen.