In dieser Phantasie beschäftigen mich als erstes ihre Socken. Es sind weiße, flauschige Socken, Frottée, oder Tennissocken, und in dem Moment, wo der Film einsetzt, trägt sie nicht viel mehr als diese. Aber darum, also um ihre unbedeckten Körperstellen, geht es zuerst gar nicht, es geht nur um ihre Füße in den weißen Socken. Diese Socken sind leuchtend weiß, sauber, frisch, aber getragen, nicht gerade angezogen, die ganze Situation ist die des umgekehrten Vorgangs, nicht des Anziehens, oder der Unterbrechung des Anziehens, sondern seines Gegenteils. Das meiste fehlt schon. Ich nehme an, sie trägt noch den Schlüpfer, über dessen Farbe, Material oder Beschaffenheit die Phantasie an diesem Punkt keine Aushünfte erteilt, sie verweilt bei den Socken, die, wie gesagt, sauber und frisch sind und doch etwas Gebrauchtes, etwas In-Anspruch-Genommenes an sich haben, das eine innige Verbindung zu ihrer Trägerin aufzeigt; sie sind kein zufälliger Fremdkörper, den man sich am Morgen überstreift und der zunächst auch fremd bleibt, unzugehörig, gewöhnugsbedürftig, wie auch er, der Gegenstand, die fremde Hülle, sich erst an uns, an die Trägerin, gewöhnen, sich ihr anverwandeln muß: Diese weißen nicht mehr ganz flauschigen Socken haben die Fremdheit überwunden und sich ihrer Trägerin bereits anverwandelt, und so sehen sie aus, so fühlen sie sich an (würden sich anfühlen, wenn man sie berühren würde), man merkt ihnen an, daß Esther sie getragen hat, einen langen Tag, eine lange Reise, daß sie über die Stunden dieses Tages hinweg, auf Bahnhöfen, in Zügen, auf Straßen, in einem Café, ein intimer Teil Esthers geworden sind, indem sie ihr so lange so nahe waren, daß sie Esther begleitet haben, daß Esther sie heute morgen mit einem bestimmten Gedanken (zu dem vielleicht auch ein Bild oder eine Vorahnung, wenn nicht sogar der Wunsch oder das Verlangen nach einer Situation gehört hat, wie die, in der sie sich jetzt mit mir befindet, nämlich, fast entblößt, nach Ablegen einiger Quadratzentimeter Stoff und mit der festen Absicht körperlicher Vereinigung, bald in den Zustand gänzlicher Nacktheit überzuwechseln), daß Esther sie also heute morgen mit solchen Gedanken oder unter anderem auch solchen Gedanken über ihre Füße gerollt hat und daß sie dann die ganze Zeit bei ihr waren, während Esther auf der langen Fahrt Zeit genug hatte, dieses und jenes zu denken, zu ahnen und zu wünschen, und daß sie die ganze Zeit diese weißen Socken trug, so lange, daß der Stoff ein bißchen ihren Geruch angenommen und damit etwas wie ein Fluidum von Esthers Existenz, ihrem Wesen, nicht allein als Körper, sondern auch als wünschendes und hoffendes Wesen, aufgesogen haben. Das beschäftigt mich sehr, wiewohl so etwas ja nur Sekunden dauert in der Realtität, wo wir es meist eilig haben, die Socken von den Füßen zu streifen (ich ihre Socken). Mich beschäftigt, wie Gegenstände, Kleidungsstücke zumal, etwas von der Person in sich aufnehmen, die sie trägt, ich meine nicht allein das offensichtliche, den Geruch, die Wärme, die Ausbeulung von Knöcheln und Gelenken (auch umgekehrt fasziniert mich der Eindruck, den Kleidung auf die Trägerin ausübt, die Rillen, Muster Streifen, Falten und Abdrücke von Strickmaschen auf der leicht geröteten warmen Haut), sondern auch in der Vorstellung, in der ideellen Verbindung, die der Stoff, das Gewebe, das Material mit Haut und Fleisch oder Haar eingegangen ist, einfach nur, indem diese unbelebte Materie der atmenden Haut so nahe war, daß sie fast eins geworden sind, bis zu dem Moment, wo sie sich in einem elektrisierenden Knistern wieder voneinander trennen, so wie jetzt, während ich in meiner Phantasie die Socken langsam von Esthers Füßen schäle.