Martial III, 87

Narrat te rumor, Chione, numquam esse fututam
    atque nihil cunno purius esse tuo.
Tecta tamen non hac, qua debes, parte lauaris:
    si pudor est, transfer subligar in faciem.

Chione, man sagt, es habe gefickt dich noch keiner,
    und nichts Reineres gäb’s, als deine Möse, weithin.
Trotzdem wäschst du dich nicht an der Stelle, wo du es müßtest:
    Wenn du Schamgefühl hast, häng dir den Rock
vor’s Gesicht.

Sehr geehrte Frau Schäfer-Wagner,

bitte entschuldigen Sie, wenn ich mich in einer ernsten Angelegenheit an Sie wende. Mir ist bewußt, daß mein Anliegen kaum auf Verständnis stoßen wird, aber erstens ist es nicht länger erträglich zu schweigen, und zweitens dürfte es Ihnen leichtfallen, meinem weiter unten genannten Wunsche nachzukommen, auch ohne Verständnis zu haben.
Seit einigen Wochen höre ich – verzeihen Sie meine Offenheit – das Geräusch, das die Belüftungsanlage ihrer Toilette hervorruft; zumindest ist das die plausibelste Vermutung, die mir zu diesem sehr unangenehmen heulenden Summen einfällt. Besonders lästig ist es, wenn es – wie heute – geschlagene zwei Stunden anhält. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schreibens ist es immer noch zu hören, und Sie dürfen sicher sein, daß es ein sehr unangenehmer Zustand ist, zwei Stunden und länger auf das Verstummen eines verhaßten Geräusches zu warten.
Sie könnten mich für übertrieben geräuschempfindlich halten, doch erstens ändert die Zuschreibung irgendeiner Empfindlichkeit an meine Person nichts an meiner mißlichen Lage und dem damit verbundenen Ärger und Verdruß; zweitens ist es egal, wie empfindlich oder unempfindlich ich bin, wenn es Ihnen gegeben ist, ohne großen Aufwand meine Erlösung herbeizuführen. Drittens aber trifft der Vorwurf nicht. Ich würde mich nie über das morgendliche Gekrächze, Geräusper und, nun ja, Gespucke Ihres Herrn Gatten beschweren, und ich sage auch nichts über das vernehmliche Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaakoooooooooooooooooob, mit dem Ihr im Stimmbruch befindlicher Erstgeborener seinen Bruder morgens um sieben zum Aufstehen zu bewegen bemüht ist, und obendrein schweige ich über die donnernden Schimpfkanonaden, mit denen Ihr Ehemann seine Söhne zusammenstaucht. Noch viel weniger würde ich jemals erwähnen, wie irritierend es ist, wenn Sie oder Ihr Mann vor meinem Fenster geräuschvolle Gespräche mit den Nachbarn führen, nein, sage ich, dazu schweige ich und will ich weiter schweigen. Von einer besonderen Empfindlichkeit kann also keine Rede sein, selbst das allabendliche Einlaufen- und Ablaufenlassen des Badewannenwassers in der Wohnung im ersten Stock stört mich nicht weiter.
Allein, es gibt Geräusche, die nicht durch ihre Lautstärke, sondern bloß durch ihre Eigenart den, der ihnen ausgesetzt ist, in den Wahnsinn treiben können, und ich ersuche Sie dringend, dieses Lüftergeräusch, das bedauerlicherweise zu jenen unerträglichen Schallarten gehört, zu eliminieren. Mir will auch nicht in den Kopf, warum es erst seit wenigen Wochen zu hören ist. Irgend etwas müssen Sie daran geändert haben. Vielleicht war die Anlage defekt, und Sie haben ein halbes Jahr gebraucht, sie zu reparieren? Angesichts der Geschwindigkeit, mit der Sie Ihr Gerümpel aus dem Flur entsorgen, halte ich das für durchaus plausibel. Oder Sie haben vorher nur Ihr zweites Bad benutzt? Oder einen Nachttopf?
Was immer es ist, ich bitte Sie inständig, zum früheren Zustand, was immer er gewesen sein mag, zurückzukehren.
Bedenken Sie bitte, daß ich dem Geräusch nicht entgehen kann, da mein kombiniertes Eß-, Schlaf- und Wohnzimmer eine Wand mit Ihrer Toilette teilt.

Hochachtungsvoll,
T. Th.

B., den 23.6.2010

Vuvu

Seit Tagen schon dringen merkwürdige Geräusche über die Straße und durchs gekippte Fenster an mein Ohr. Zum Teufel, was ist das jetzt? Reichten nicht die albernen Wimpel, die dreifarbigen Girlanden, die Kriegsbemalung auf den Wangen? Reicht nicht das Geheul, das plötzlich allüberall die schon als angenehmst begrüßte Totenstille in den Straße jäh durchbricht? Muß es jetzt auch noch das sein, und neben den Augen auch noch mein empfindlichsten Sinnesorgan, das Ohr, ansprechen? Noch bevor der allvierjährliche Zirkus richtig angefangen hat, habe ich schon die Nase voll von dem Gefurze.
Man könnte ja, und dem Flötenspieler ist es sozusagen zweite Natur, man könnte ja einen Tip geben, ordentlich Stütze und Lippenspannung, dann kommt auch ein Ton heraus. Aber will man das? Was diese merkwürdigen Hörner wohl produzieren könnten, wenn ein geschultes Lippenpaar hineinbliese, man möchte es vielleicht gar nicht so genau wissen, und hören, denke ich mir, möchte man es erst recht nicht. Wer weiß, was für ein höllischer Lärm losbräche, wenn jemand vom Schlage Hermann Baumanns … nicht auszudenken! Also doch besser die Furzgeräusche. Aber auch die sind schon schwer erträglich.
„Ruhe!“ möchte man hinausbrüllen, „wir sind hier nicht in der Serengeti!“
Ich habe dazu zwei Assoziationen. Die erste: Ich muß geradezu zwanghaft an ein Bild aus einer Erzählung von Edgar Allan Poe denken. Im Cask of Amontillado wird, wie jeder weiß, aus nicht enthüllten Rachegründen ein unglücklicher Sherryliebhaber in einem salpeterverkrusteten Gewölbe lebendig eingemauert. Das Bild dazu: Die klingelnden Glöckchen an der Narrenkappe des ahnungslosen Opfers.
Die zweite Assoziation ist ein Satz aus einer Parabel von Kafka, die sich nicht nur hier wie von selbst einstellt, sondern, ach!, in unzähligen weiteren Situationen des Alltags auch. Ich flüstere ihn mir praktisch täglich vor. Er lautet: „Was ist das für Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde?“