Noch einmal von einer Fellatio geträumt. Nein, nicht sie mir, sondern ich – ihr. Ja, ihr: Sie besaß nämlich, so fügte es der Traum merkwürdig zusammen, ein Organ, wie man es bei Frauen an dieser Stelle sonst nicht findet, und dieses Organ funktionierte ganz genauso wie es bei einem Mann für gewöhnlich funktioniert. Unter einer Decke zwischen Elenas Beinen hockend (ihr Gesicht, weit oben, war verborgen), hatte ich ihre Eichel (was für ein rätselhaftes Pronomen in diesem Kontext) im Mund und rieb mit der Zunge über das Frenulum, hatte die Hand mit sanftem Druck auf die Stelle gelegt, wo die Haut des Penisschafts in die Haut des Scrotums übergeht, und zog in langsamem, melkendem Rhythmus. Es dauerte nicht lange. Elena stöhnte, rief, gedämpft durch die Decke, etwas, das sich wie ein Protest anhörte, zuckte dann ein paarmal kurz aus dem Becken heraus, und im selben Augenblick strömte etwas Lauwarmes in meinen Mund, dicklich-süß wie Hafersuppe. Ein paar Silbertropfen glänzten auf Elenas Bauch. Fasziniert und voller Erregung, konnte ich mich dennoch nicht zwischen schlucken und spucken entscheiden. Indes machte mir Elena, alles andere als beglückt, zornige Vorwürfe: Sie hätte doch nicht kommen wollen, sie möge das nicht, weil ihr die Vorstellung unangenehm sei, daß ich das, was sie absondere, in meinem Mund habe, sie fände das ekelhaft.
Ich fand es wundervoll. Ich glaube, ich hatte ein bißchen ein schlechtes Gewissen, als hätte ich Elena zuvor versprochen, rechtzeitig aufzuhören, und ihr Vetrauen mißbraucht. Andererseits, dachte ich, warum sind Frauen manchmal so pienzig?
Was war das nun? Was für Wünsche und Sehnsüchte materialisierten sich da? Ich war beim Aufwachen wie berauscht. Nein, ich selbst hatte keinen Höhepunkt erlebt, vielmehr hatte sich der ganze Genuß einzig auf das Fühlen dieses fremdvertrauten Organs in meinem Mund und darauf konzentriert, wie Elena auf meine Liebkosungen reagiert, ihre Hüften gestreckt und gezuckt hatte und, gleichsam gegen ihren Willen, überwältigt, gekommen war. Ich empfand eine verzückte Wehmut beim Erwachen, eine untröstliche und süße Enttäuschung darüber, daß es so etwas ja nicht gibt, daß ich diese Erfahrung nicht machen werde, obwohl ich vor Neugier brenne; weil, wenn an dem Organ ein ganzer Mann festgewachsen wäre, die Hemmung jede noch so brennende Neugier bei weitem überwöge und es mich abstoßen würde, das zu tun, was der Traum mich mit der so wundersam ausgestatteten Elena hatte tun lassen … Und weil ich mich nur trauen würde, wenn eine Frau so ein Organ hätte; und schließlich auch wieder einmal darüber daß wir, Elena, alle Frauen, ich, alle Männer, für immer in unserem Geschlecht gefangen sind (für uns selbst und für den anderen) und zeit unseres Lebens nur herumrätseln können, wie es für die andere Hälfte unseres ursprünglich-zwittrigen Wesens sich anfühlen mag, liebkost zu werden – oder sich selbst zu liebkosen.
Monat: März 2010
Greinstraße
Die Schreie schleppen Männer hinter sich her, blaugrauschwarze Schleppen in öligen Overalls, lassen sie übern den Kiesweg schleifen. Die Schreie, derb und ein bißchen frech, schütteln die Männer immer wieder gründlich durch und zwingen ihnen, besonders die langgezogenen, den Kopf in den Nacken. Die Schreie haben dicke Brillen, durch die wilde Augen linsen. Die Schreie haben einen verzerrten Mund und schwarze Finger, mit denen sie auf das Gerüst vor dem Gebäude zeigen, wo ein Getrampel über Gitter und Trittstufen aus Blech an Gummisohlen festgewachsen ist, ein zitternder Schepperbaum. Man sieht nicht, wohin die männernden Schreie zeigen. Den Schreien nach ist es was Wichtiges. Leises Gurren läßt plötzlich Tauben aus den Zwitscherschwärmen herausregnen. Knattern und Dröhnen spuckt einen Traktor über den zerpflügten Rasen hin. Irgendwo rasselt etwas.
Aus dem Schaben und Scharren auf Stein und Asphalt wachsen Rechen und Schaufeln heraus, größer als die Männer der Schreie, baumhoch und verästelt, beherbergen sie Nester aus Schnaufen und Husten, deren gewundene Gerten fransig sind und zerfasert und einen drahtigen Bast absondern, der sich wie ein Röcheln in den unhörbaren Strömungen der Luft bewegt.
Die Fensterscheiben filtern nicht nur das Licht, sondern auch den Schall. Was hier ankommt, ins Souterrain hineinstreut, das hat keine meßbare Entfernung, ist weder hier noch dort, sondern gleich präsent, hat jede Qualität eines Ortes oder einer Richtung verloren und damit auch die Ordnungen von Ursache und Wirkung. Man könnte sagen, alles Geschehen von Klang und Licht in der Zeit spielt sich auf einer einzigen tiefenlosen Ebene ab, der Fläche der getönten Scheiben, durch die alles hindurchmuß, was an Information der äußeren Welt hier hereinströmt. An dieser Fläche bleibt alles haften und bildet zweidimensionale Projektionen nicht nur des vermutlich dreidimensionalen Raumes jenseits, sondern auch des vieldimensionalen Gewebes von Nacheinander, Folge, Entwicklung und Ursache, aller Verschlingungen des Zeitlichen, des Lichtvollen, des Klanges. Aus unserer Höhle betrachtet ist die Landschaft draußen ein merkwürdiges Durcheinander unzusammenhängender Klänge und Bewegungen, deren Verweise aufeinander in mehreren Richtungen Sinn ergeben.
Was soll man
nun davon halten. Prankt doch auf einer Taschenbuchausgabe des Romans Sturmhöhe, die man in einer Filiale einer großen Buchandelskette, welche sich nach der griechischen Muse des Theaters benannt hat, aus dem Regal zieht, prankt da also auf dem Buchdeckel, gut sichtbar rechts unter dem Titel, etwas, das die Werbefritzen in einer für die Branche seltenen Einsicht und Unverblümtheit „Störer“ nennen. Ein kleines, rotes Aufkleberchen. Darauf steht in schwarzen Lettern geschrieben:
„Lieblingsbuch von Bella und Edward!“
Das erinnert mich an das Jahr 1990, als es manchen Buchhandlungen einfiel, auf druckfrische Ausgaben von Max Frischs Homo Faber ein Aufkleberchen mit dem Vermerk „Das Buch zum Film“ anzubringen. Man darf sich die Frage stellen, welche LeserKäuferschaft die Handelskette im Falle von Sturmhöhe mit sochen Hinweisen anzulocken hofft.
Anders formuliert: Wie groß mag wohl die Schnittmenge aus der Mengen der Stephenie-Meyer-Leser und der Menge der Emily-Brontë-Leser sein …?
Herodot, Historien I, 139
Bei Herodot (I, 139) gibt es eine Stelle, wo man sich an gewisse onomastische Verhältnisse bei Asterix erinnert fühlt:
Auch folgendes hat sich bei den Persern so ergeben, was ihnen selbst gar nicht klar ist, mir aber schon: Ihre Eigennamen, die körperliche Eigenschaften oder gesellschaftlichen Rang bezeichnen, enden alle auf denselben Buchstaben, den die Dorer „San“, die Ionier „Sigma“ nennen; wenn man diese Sache untersucht, stellt man fest, daß alle Namen der Perser so enden, nicht die einen so und die anderen anders, sondern alle gleichermaßen.
καὶ τόδε ἄλλο σφι ὧδε συμπέπτωκε γίνεσθαι, τὸ Πέρσας μὲν αὐτοὺς λέληθε, ἡμέας μέντοι οὔ• τὰ οὐνόματά σφι ἐόντα ὅμοια τοῖσι σώμασι καὶ τῇ μεγαλοπρεπείῃ τελευτῶσι πάντα ἐς τὠυτὸ γράμμα, τὸ Δωριέες μὲν σὰν καλέουσι, Ἴωνες δὲ σίγμα• ἐς τοῦτο διζήμενος εὑρήσεις τελευτῶντα τῶν Περσέων τὰ οὐνόματα, οὐ τὰ μὲν τὰ δ’ οὔ, ἀλλὰ πάντα ὁμοίως.
Dazu schreiben W. W. How & J. Wells (A Commentary on Herodotus, Oxford 1912):
Herodotus is at his weakest as a linguist (cf. explanation of royal names, vi. 98. 3 n.); yet he seems to have valued himself on this score. He makes two remarks on Persian names, which are both inaccurate:
(1) That they all have a certain meaning. σῶμα is variously taken (a) by Stein, in ageneral sense, „individuals (32. 8) and their honourable nature“; (b) by Macaulay, „their bodily shape“ (which is simpler). Whichever sense be given, Herodotus is too absolute; nor is he consistent; cf. vi. 98. Some Persian names referred to deities (cf. Mithradates, „given by Mithra“); others to personal appearance (Otanes, „fair of body“); others (e.g., Darius, „possessor“) to position, etc.
(2) That all names end in S. This, in the first place, ignores all feminine names. Even of men’s names, it is only true of the Greek forms; in Persian, s (sh) was retained after i or u, e.g., Darayavaush = Darius, but not otherwise, e.g., Vistâçha (Hystaspes), where, however, the final a was not written. For the interesting statement as to the Greek alphabet cf. Roberts, Gk. Epig. p. 8seq. The Phoenicians had four signs for sibilants, each of which was borrowed in part by Greece:
(1) The hard Samech (No. 15 in the Phoenician alphabet), probably = „Sigma“ Others, however, make „σίγμα“ („the hissing letter”) a genuine Greekword (from σίζω).
(2) The lingual Tsade.
(3) The palatal Shin.
(4) There was also the soft Zazin.
Of these the name Tsade survives in Zeta, while „Samech“ was transferred to the place of „Shin“ The sign of Samech and its place in the alphabet after Nun, were left to the later Xi.