Provinzbahnhöfe (1)

Man fragt sich, wer dort wohl wohnt. Ein Fenster mit Gardine. Eine Blumenampel, quietschrote Pelargonien. Wer lebt da, zum Winken nah, auf Augenhöhe mit den Oberleitungen, mit dem Rattern und den zuckenden Blitzen unter den Füßen?
Ein Alltag in der Ausnahmewelt des Reisenden: Auch hier gibt es Mülleimer und Kioske, Werbetafeln und das Geflimmer auf Bildschirmen. Auch hier gibt es einen Supermarkt, der Teppichvorleger verkauft und Grillanzünder und Katzennahrung, auch hier gibt es Nach-hause-Wege und Briefschlitze.
Bahnhöfe wie einer Spielzeugwelt entstiegen, mit einer Ortstafel in wilhelminischen Lettern, Holzbänken im Schatten und einem hübschen Bahnwärterhäuschen, erbaut in Zeiten, da man ein solches Gemäuer noch liebevoll mit Gesimsen, Türmchen und Mauerbögen über den Fenstern verzierte. Zwischen Bahnsteig, Garten und Straße steht es, mit einem Fahrradladen im Erdgeschoß und Mietern im ersten Stock. Die Namen heißen Bensheim, Goarshausen, Welgesheim-Zotzenheim oder Urft. Schlichtländliche Einsilbigkeit. Haltepunkte im scheinbaren Nirgends, aufgewürfelte Häuser in einem Schnitt zwischen Äckern oder Wein, wo es über Gräben silbrig distelt und auf den Umfriedungen Katzen in der Sonne dösen. Hart steigt darüber das Tal an, der Fluß heißt Lahn oder Ahr oder Rhein, und das Licht ist staubig von Feldern. Im Wartesaal ist es kühl im Sommer und eisig im Winter. Der Putz bricht von den Wänden. Abfahrtpläne wellen sich hinter trübem Glas, verlieren ihre Farben und ändern sich jahrzehntelang nicht. Vielleicht gibt es sogar noch einen Schalter, wo hinter einem Doppelglas mit Drehdurchreiche ein Bahnwärter Kaffee kocht. Sommers tritt man aus dem dämmrigen Raum mit verhallendem Schritt in die Sonne, da flimmern die Schienen der Ferne entgegen, und anstelle einer Halle wölbt sich über den Geleisen ein von Schwalben durchzuckter Himmel.

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