Episteln: An C. Von Kindern und Männern (1)

“Der junge Mann spricht mit leuchtenden Augen. Seine vom Eifer bewegte, helltönende Stimme hat keine Mühe, sich gegen das Stimmengewirr und Fahrtgeräusch des Zuges durchzusetzen. Von der Geburt seines ersten Kindes berichtet er, im August war das, hört man mit halbem Ohr, das Erlebnis also noch frisch und eindrücklich, und genauso erzählt er es auch, erzählt es, wie man von einer Heldentat kündet, und zwar von der eigenen: Wie das Fruchtwasser abgegangen sei, wie man sich beeilt habe, in die Klinik zu gelangen, wo es dann doch nicht weitergegangen sei, das Kind zuletzt noch mit Zangen oder ähnlichem (ich hörte nicht so genau hin) habe geholt werden müssen, dann irgend etwas Kennerisches über die Nabelschnur, und dann, krönender Abschluß –: wie sein Sohn ihn über und über mit Blut! bespritzt habe, so daß jemand von den Verwandten sich später besorgt über sein Wohlergehen habe äußern wollen, „Alles klar bei dir?“
Kurzum, dieser Vater war der Held seiner Geschichte. Er kannte sich aus, er wußte bescheid, er trotzte der Gefahr und am Schluß floß Blut: Auf ihn, wohlgemerkt. Die Mutter und ihre Befindlichkeit kam übrigens nicht vor.
Nun ist für viele Männer ja das Kind der Beweis ihrer Manneskraft. Daß man dann von diesem Beweis der eigenen Kraft in den höchsten Tönen schwärmt, scheint gerade noch verständlich (Ich bin da anders, ich könnte nie in diesem Ton von der Geburt meines Kindes erzählen, und auch in keinem anderen Ton. Ein Kind gezeugt zu haben: Ich glaube, es wäre mir ein bißchen peinlich, wie ein öffentlicher Samenerguß. Ich korrigiere mich: Es ist ein öffentlicher Samenerguß.) – Aber es geht um mehr als das, nämlich um eine Art von Einmischung, um das An-sich-reißen-Wollen von Dingen, die wir Männer ja doch nie erreichen werden, und das darum ein um so würdeloseres Bemühen ist. Die meisten Männer begnügen sich nicht mit dem Kraftbeweis der Zeugung; nein: in dumpfem Bewußtsein ihrer Ohnmacht wollen sie selbst noch bei dem Vorgang, bei dem sie ein für allemal Ausgesperrte und Uneingeweihte sind, der Geburt, zugelassen, eingeweiht und: Held sein. Und dann spielen sie sich gewaltig auf mit ihrem angelesenen Wissen über Fruchtblasen und Nabelschnüre und Hormone und wasweißich noch alles, Blut und Schleim, ohne doch das letzte, das Wirkliche, das Mysterium haben zu können: Die Erfahrung, den Schmerz. Und: Sie sind Nebensache, und nicht nur hier, auch bei der engsten Bindung zum Kind, dem Stillen, haben sie keinen Anteil, werden sie naturgemäß Nebenperson sein. Eine abermalige Demütigung: In ihrem eigenen Bereich, dem des Nahrungsbeschaffers, werden sie geschlagen. Da können sie sich noch so gut und noch so informiert über Mastitis verbreiten, es ändert nichts. Und so, meine ich, ist die ganze Aufmerksamkeit der Männer, was das Thema Geburt und Aufzucht angeht, eine gewaltige Kompensationsanstrengung, ebenso wie alle anderen Arten männlichen Heldentums, die alle nicht darüber hinwegtäuschen können, was wir Männer wirklich sind, nämlich arme Würstchen. Es hilft ja nichts, daß wir Dschungel durchqueren und auf den Everest klettern, am Ende noch zum Mond fliegen, oder, wenn alles nichts hilft, uns eine Religion ausdenken oder einen Krieg anzetteln; dort, wo es wirklich drauf ankommt, nämlich bei der Geburt der nächsten Generation unserer Spezies, spielen wir keine Rolle. Allenfalls als Helferlein und Schwimmlehrer sind wir zu gebrauchen. …”

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