Allerheiligen

Am Grab von Jennifer Heid, wie jedes Jahr. In Gedanken zumindest.
Diese elf Tage des Jahres, Verspätetes und Letztes, zwischen Allerheiligen und Martini, wo der Herbst sich geschlagen gibt und zurücktritt aus den Kronen der Bäume wie ein sanftmütiger Riese. Er schüttelt das greise Haupt: Ein Schritt nur ist es ins Nichts, in den Rest, ins Dunkel, das selbst die Raben verschmähen, die plötzlich, seid wann? verstummt sind auf ihren lautlosen Bahnen. Heute noch waren wir hier zu Hause, hier, inmitten der Astern, hier haben wir ins Laub geatmet, uns mit Eicheln beworfen, über den Nebel gestaunt und gelacht über unseren Atemdunst, wie Kinder, hier waren wir Freunde, Paare, Geschwister, und nun? Stehen wir allein, mit diesem Wundsein an den Fingerspitzen, das eine andere Hand uns ließ, und haben eine harte Münze unter der Zunge, seit unsrer Geburt. Und wir tun so, als wüßten wirs nicht. Nicht war? Schön wars auf der Erde. Nur daß wir nicht einmal diese Erinnerung behalten dürfen. Und über der Tonne aus kohlefaserverstärktem Kunststoff liegen die Blumen. Und über den kleinen, eingefaßten Gärtchen kreist der Kerzenschein. Als ginge es immer so weiter stellt man den Mantelkragen auf, fröstelt behaglich, riecht das eigene Leben in den Achseln, und mit diesem Gedanken ist man fort über Straße und Feld. Ein Blatt kreist in müdblauen Tonnen. Und am Horizont dröhnen die Türme. Und dröhnen und dröhnen.

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