Anruf von E.S. Plötzlich habe ich wieder ein anderes Leben gehabt, bin ich aus einer ganz anderen Richtung hierher gelangt. Es war ja nicht alles immer so wie jetzt. Und es kommt alles irgendwoher. Ein Geschmack, ein Duft flackert da auf, eine bestimmte Farbe, ein Ton über den Fenstern, der Geruch einer U-Bahnhaltestelle, der Klang einer Balkontür. Merkwürdig. Man verliert so viel aus den Augen, treibt, läßt sich treiben, wacht morgens auf, und noch einmal und noch einmal, und dann kommt ein Anruf und man stellt verblüfft fest, man hat es schon vergessen, und keine zwei Atemzüge dauerte es, um lange her zu sein. Als wäre ich nicht, jetzt, wo ich dies schreibe, bedingt und geformt auch von diesen Jahren, und von denen davor und davor … von den Jahren, aus denen mich dieser Anruf erreicht, die doch so viel näher sind als die ganz frühen. Als sei ich nicht ihnen verdankt, den Wurzeln: Nie ist man vollumfänglich man selbst, nie ist man in einem Augenblick und Gedanken die ganze Geschichte, die um sich selbst weiß.
Tag: 4. September 2007
Jubiläen
Soll man sich darüber ärgern, daß der 100ste Todestag eines berühmten Komponisten, dessen Namen sogar eingefleischte Popmusikkonsumenten nicht unbekannt sein dürfte, dessen Melodien so manchen Werbespot zieren und auch in der schillernden Welt der Klingeltöne ihren Platz gefunden haben – soll man sich ärgern, wenn der Geburtstag dieses Komponisten in den Medien nicht begangen wird? Soll man sich wieder einmal voll Ärger an das sogenannte Mozartjahr erinnern und an die Stimme K-M Brandauers, wie er in Salzburger Vokalfärbung Mozartbriefe verlas? Soll man wieder zur Feder greifen und E-Mails an den WDR oder sonst irgendeinen Radiosender schreiben, in welchem man sich bitter beschwert über die Schräglage, die sich aus dem Gegensatz von Rummel (Mozart) und Schweigen (alle anderen großen Tonsetzer) ergibt? Soll man darauf hinweisen, daß wir in der letzten Dekade ein Schubertjahr (*1797), ein Sibeliusjahr (†1957), ein Brahmsjahr (†1897), ein Bellinijahr (*1801), ein Verdijahr (†1901), ein Schostakowitschjahr (*1906) hatten, den diesjährigen Jubilar nicht mitgerechnet? Natürlich ist es kein Verlust, daß man darauf verzichtet hat, Brahms’ Briefe im Radio zu verlesen; aber ein bißchen nachdenklich stimmt es schon, daß ein einziger zur Ikone erhoben wird, während die anderen nicht einmal erwähnt werden. Obwohl sie für eine alberne Bierwerbung dann doch gut genug sind.
Nein, ich laß es bleiben. Ich werde diesmal nicht schreiben. Sollen doch alle bei ihrem Bier und ihren Klingeltönen bleiben und glücklich werden.