Vorabend

Heute, am Vorabend, beschäftigt mich nicht so sehr die Prüfung selbst, als vielmehr die weiteren Folgen der unumstößlichen Tatsache, daß es mit dem Studieren dann vorbei sein wird.
Wieder geht eine Zeit zu Ende, in der ich, wenn auch viel weniger stark durchdrungen als beim ersten Mal, dennoch aufgehoben war in einem System von Bezügen, Bedeutungsnetzwerken, Symbolaktualisierungen, Symbolverhandlungen. Ein Modewort fällt mir ein: Diskurs. Ich habe an einem Diskurs teilgenommen, und das bedeutet: Ich war in einer Sprache zuhause, und in einer Welt, die nur durch diese Sprache lebte, weil sie von dieser Sprache geschaffen wurde. Mit dieser Sprache werde ich nun allein sein. So etwas tut weh wie der Verlust einer Heimat. Man hat ein Häufchen Erde dabei und die Kinderlieder und Aufzählreime, aber mit wem könnte man sie noch singen? Man krümelt die Erde durch die Finger bis sie ganz fein geworden ist, aber irgendwann wird sie den Geruch nach Ferne und Fremdheit angenommen haben.
Nicht nur dies, die Begegnungen, so flüchtig und oberflächlich sie auch waren, werden mir fehlen; wiedersehen werde ich kaum jemanden; Freunde sind keine geblieben. Plötzlich fehlen mir diese Menschen, und sei es auch nur, weil sie eine Stelle waren, wo es einen Knoten mit dem Außen gab, einen Wirbel, eine Überschneidung. Das einzige, das mir bleibt, ist die Welt, in die ich die letzten vier Jahre eingetaucht bin, und die ich nun in mir trage, wie das Häufchen Erde. Wieder verschwindet ein mit anderen geteilter Punkt des Außen-Ichs, krümmt sich eine Berührungsfläche in sich zusammen und entläßt mich zurück ins Binnen-Ich, wo ich allein bleibe mit meiner einsamen Kunst.