Beim Laufen

Irgendwo bei km 18 oder 20 zwischen Witterschlick und Röttgen überholen mich zwei fahrradfahrer, und noch in ihrem herannahen höre ich mich angesprochen, Sie haben …
Ich füchte schon, gleich vernehmen zu müssen, was für ein riesen ekelhaftes getier mir am rücken klebt, aber nein:
… Sie haben aber einen schönen laufschritt! ruft eine sportliche dame mit pausbackigem gesicht mir auf augenhöhe zu.
Danke! rufe ich fröhlich und etwas verdaddert, und ihr begleiter strahlt mich an und fügt hinzu: kompliment! Dann sind sie um die nächste kurve und davon.
Auch wenn ich davon nicht schneller wurde und der glykogeneinbruch dann doch kam – die nächsten vier km trug ich hermessche flügelschuhe. Es ist schon merkwürdig, wie wenig die eigenwarnehmung manchmal der wahrnehmung der anderen kongruent ist. ich, der ich mich immer für linkisch halte, für einen unmotorischen geek, soll also jetzt einen schönen laufstil haben. Ha, wer weiß? Am ende wäre ich vielleicht sogar ein begnadeter tänzer.

Abends im Mauslwurfsbau

da sitzt man nun also in seinem maulwurfsbau, ein gefülltes glas neben sich auf dem tisch, fenster auf kipp, schnellstraßen von ferne, etwas feuchtkühle waldluft, von der man sich fragt, wie sie es hierher geschafft hat, so sitzt man im licht, landkarten, wege, kilometerzähler, und ab und zu nimmt man einen schluck, und plötzlich ist abend, da ist es, als hätte man auf diesen augenblick gewartet, auf so einen augenblick im frühsommer, wenn die luft umschläft von lau zu kühl und die letzte amsel verstummt ist, während bestimmte blüten sich jetzt den faltern öffnen und die gärten zu duften anfangen, so ein abend, so ein augenblick, wo man sich plötzlich der brennenden füße bewußt wird, der salzränder unter den achseln, dem glühen im gesicht, dem getrockneten schweiß im hemd, genau so wie früher, als man barfuß lief und das laken im kinderbett fußseitig schnell grau wurde, aber jetzt, wo er da ist, dieser moment, weinglas und fenster auf kipp und sommer und barfuß und das alles, da weiß man auf einmal nicht mehr, warum, und: ich sach ma tschöh, sacht der tach und ist weg, bevor’s bei mir ankommt. und das glas, tja, das glas ist noch nicht einmal zur hälfte geleert.

Ein Traum: Fellatio

In den frühen morgenstunden von einer fellatio (vulgo: blowjob) geträumt, und nein, nicht von einer frau, die mir, sondern von einem mann, dem ich. das ganze spannend und außerordentlich erregend, tageslicht, zwei nackte körper, seiner und meiner, in aller klarheit ausgestellt. sein gesicht undeutlich, verschwommen, niemand, den ich in wirklichkeit kenne. sein körper ist jungenhaft, schlank, seine haut sonnenbraun. es gibt keine berührungsängste, kein zögern, dieser schöne männerkörper kostet mich nicht die geringste überwindung; es ist keine frage, ob wir das wirklich – nein. es ist alles so normal, daß die frage gar nicht aufkommt. sein geschlechtsteil weder groß noch klein, sich zur spitze ein wenig verjüngend, was überrascht, nicht beschnitten, von einer federnden, biegsamen härte, um die sich weiche, fast flauschige, trockene haut schmiegt, haarlos, die zu berühren sehr angenehm ist, wie überhaupt alles an dem vorgang sehr angenehm ist, seine eichel tief in meinem mund, meine hand auf seinem skrotum. gerüche kamen nicht vor, geräusche auch nicht. wie es sich anfühlte, als er kam, weiß ich nicht mehr, oder der traum ließ es aus (was schade ist). doch zuletzt, als alles vorbei war, eine unangenehm viskose substanz im mund, zäh wie harz und kaum zu schlucken, noch weniger auszuspucken, so daß es mir zunge und gaumen verklebte. geschmack nach samen.
zuerst verblüffend, so ein traum, doch bei weiterem nachdenken eigentlich nicht erstaunlich. bei allen hemmungen möchte man doch zu gerne mal wissen, wie … also, wie würde sich das anfühlen? ich stelle es mir sehr faszinierend vor, als eine abenteuerlich-atemberaubende mischung aus vertrautem und gänzlich fremdem, als etwas, das man von je zu kennen glaubt und sogar kennt: und doch sind alle dimensionen verschoben, die sinne ganz anders beansprucht, eine nähe zum anderen ist da, die zugleich eine nähe zu mir selbst ist, die nie mit mir alleine sondern nur auf dem umweg über den anderen möglich wäre.
oder ist, wer weiß.

Beim Lesen

Gerade gelesen (ich übersetze aus dem Griechischen):
Er spürte, daß er diese verdichtete Wirklichkeit nicht ertrug, dieses unersättliche Präsens, ohne Widerhall. Er ertrug nicht die Undurchsichtigkeit einer Gegenwart, die von der Vergangenheit des Mythos abgeschnitten war. (M. Lambadharídhou Póthou, Ο Αγγελος της Στάχτης, 302)
Genauso hat es sich angefühlt, als ich durch einen verzauberten Hain geschritten war, einmal und Jahre danach noch einmal, so habe ich es empfunden, später, nachdem ich das alles lange verlassen hatte. Plötzlich gab es nur noch die Gegenwart: dicht, ohne Tiefe, undurchdringlich und unerträglich ausschließlich vorhanden.

Welttag für Weltaktionstage

Ist heute irgendetwas anders als sonst? stiller vielleicht? ich lausche: fahrzeuge holpern über resonantes kopfsteinpflaster, autotüren schlagen ausgiebig, preßlufthämmer hämmern begeistert, anlasser kreischen, und die mädels von gegenüber verlassen unter lautstarkem palaver, fahrradschloßrasseln, schlüsselklappern, den hof. wie jeden morgen. Ist etwas anders als sonst? ich lausche. mir fällt nichts auf.
Heute ist Internationaler Tag gegen den Lärm.
Aha. Ruhiger ist es indes nicht. Auf den baustellen wird gearbeitet wie je, in den zügen klirren die mp3-spieler, und es ist nicht zu bemerken, daß irgendwer heute mal den wagen stehengelassen hätte. Aber warum sollte man auch? Es ist ja auch am frauentag niemand besonders nett zu den frauen, oder zu den kindern am kindertag, oder zur Schwindsucht am Welttuberkulosetag, na ja, höchstens noch, daß man am Tag des Butterbrotes belegte brote ißt. Oder am Weltdrogentag … aber lassen wir das.
Man kommt überhaupt ins grübeln, wenn man sich die illustre liste internationaler aktionstage zu gemüte führt. Was es nicht alles gibt: herzhaftes („Tag des Deutschen Bieres“ am 23. April), lachhaftes („Weltlachtag“ am ersten Sonntag im Mai), alltägliches („Weltwettertag“ am 23. März), wissenschaftliches (Pi Approximation Day, 22. Juli); es scheint kaum einen lebensbereich zu geben, dem nicht ein aktionstag gewidmet ist: so gibt es ebenso einen „Welttoilettentag“ („für die rechte der toiletten! schluß mit dem stehpinkeln!“) am 19. November wie einen „Welternährungstag“ für den umgekehrten fall, und, man höre und staune, einen „System Administrator Appreciation Day“ (letzter Freitag im Juli); Manches ist gar geheimnisvoll, wie etwa der mysteriöse „Tag des Weißen Stockes“ oder der „Tag der Verschwundenen“. Nicht ohne weiteres erkennbar ist auch, was man sich unter einem „Towel Day“ (25. Juni) vorzustellen hat. Der „Welthurentag“ ist wieder klar.
Gibt es eigentlich einen Welttag der Weltaktionstage?
Ich halte das alles für mumpitz. Diese internationalen tage für oder gegen irgendwas oder irgendwen sind oberflächlich, plakativ, zeremoniell und so wohlfeil wie die plitischen bekenntnisse irgendeines politikers. Äußerung statt handlung, sind sie das symptom einer welt, die sich angesichts ihrer massiven probleme lieber im zelebrieren von symbolen gefällt, als daß sie, unauffällig, still und leise, maßnahmen ersinnt – und diese dann auch ergreift. Nicht an irgendeinem Sonntag im Mai, sondern jetzt und überhaupt. Hier wäre auch noch anzumerken, daß es keinen tag des jahres zu geben scheint, an dem kein aktionstag stattfände, mit anderen worten: jeder tag ist aktionstag. angesichts der verhältnisse auf diesem planeten erstaunt das nicht im mindesten.
Aber was wäre schon damit gewonnen, wenn man, was sowieso nicht passiert, aber kann ja mal spekulieren, was wäre also damit gewonnen, wenn man für einen tag gerechtigkeit gegen frauen walten läßt, kindern, bier und butterbroten die verdiente aufmerksamkeit zukommen läßt, oder eben, wie heute bislang nicht geschehen, sich einen tag lang des lärms enthält, baustellen schließt, fahrzeuge stehen läßt, auf musik verzichtet?
Vielleicht dies: wenn ein solcher tag erfolg hätte, würde das bedeuten, daß man für diesen einen tag ein spiel gespielt hat, das sich „bessere welt“ nennt. Und es wäre doch verdammt schwer einzusehen, warum man damit nicht einfach alle tage weitermachen sollte.
Denke ich und schließe das fenster. Draußen dröhnt wieder der preßlufthammer.

Normale Verhältnisse

heute im zug nach Köln der gedanke: es geht ja gar nicht, hat alles keinen zweck, laß es, du erreichst nichts, und selbst wenn–
ich kann kein normales verhältnis haben, um nicht schon von freundschaft und den damit zusammenhängenden leeren und schmerzenden phrasen zu reden, wie sollte denn ein normales verhältnis aussehen, verfädelt in die melancholie wie ich bin. wie sollte – weiß sie das? ist sie klüger als ich, mir darin voraus, tut sie das einzig richtige? hab ich es einfach noch nicht begriffen, daß ihr schweigen ein weises schweigen ist? das einzig richtige, denke ich und dann: wie sollte denn so etwas wie glück mit ihr aussehen, jetzt oder irgendwann, was, außer dem aufrollen der vergangenheit, haben wir denn noch? können wir noch einmal gemeinsam bärenbude hören und gemeinsam pizza backen, so daß es nicht eine wiederholung, nicht ein handelndes erinnern wäre?
wir können den faden nicht wiederaufnehmen wie man ein spielzeug wiederaufnimmt, ohne daß es eine art von nachahmung wäre und ich verloren im gestern, mit bewegungen, die verzweifelt so tun als ob.

Himmelfahrtstag 2002

damals, ein spaziergang, der kottenforst zwischen bahnstation und schnellstraße, durch schatten, zwischen bäumen, und, hätten wir es nur gewagt in so viel licht, auch abseits vom wege, immer den küssen nach. in einer stillen kurve zeit menschenstimmen vergessen. brot und eier essen an einer bank, die ich nicht wiederfinde und nicht zu suchen wage, an wegekreuzen vorbei, unter denen heute abendlicht liegt und aller lärm fern ist.
ein bach, der bach, trug die landschaft und die weidenwipfel (oder waren es erlen, oder pappeln?) davon, oder verhielt sie, je nachdem, wie man den kopf wandte, während hinter den bäumen (erlen, weiden, pappeln), jenseits des schattens, die felder, oder waren es wiesen, in strahlung standen, halm um leuchtenden halm; und du später, nachdem du verborgen in gräsern wasser gelassen hattest, über die wiese schrittest, rechts und links versonnen nach den blütenköpfen zielend, dein haar schwarz unter der sonne, und pollen deine füße netzte. und wir hatten ein insekt beobachtet, weiß ich noch, und ich narr! habe vergessen, ob es ein käfer war oder eine hummel oder etwas ganz anderes, ebenso wie ich nicht mehr weiß, ob es pappeln oder weiden oder erlen waren, und ob dahinter felder leuchteten oder eine wiese. hast du gelacht, als du über die wiese gingst, den kopf leicht zur seite geneigt? hast du gelächelt? wie oft haben wir uns geküßt an diesem tag?
könnte ich diesen tag, den einen nur, noch einmal erleben, wir würden den küssen folgend vom wege abgehen. und wie genau wollte ich mir dann alles merken, und es niemals mehr vergessen, nicht die weiden, nicht den käfer, die gefangenen bilder des bachs nicht und auch nicht dein lächeln, wie es sich mir entgegenhob, abseits des weges, bekränzt von knisterndem laub.

im haus der eltern

orte der kindheit aufgesucht. manchmal so ein glückhaftes abtasten, wände im hellen im dunkel. schlaf unter fernen glocken. ich und das buch mit orangefarbenem einband – ein kugelschreiber – eine marzipankartoffel – kaffee. still aufgehängt in die koordinaten von kühlschrankgeblubber und ticktack. langsam die minuten zerschreiben. eis unter den stiefeln, bäume unter raben, und den himmel streift man von sich, wenn der abend kommt. ich denke nicht daran, daß ich einmal geliebt habe, vor ein paar jahren, gerade erst. wieder einmal heißt es, glücklich gewesen zu sein. aber daran denke ich jetzt nicht. sich dem kaffee widmen, diesen kleinen dingen: dem klingen des löffels gegen das porzellan. das rauschen, wenn der zucker durch die schwarze oberfläche gleitet. das pochen, wenn man die tasse abstellt. die bitterwarme süße im hals, in der nase. sich dem widmen wie einem gebet. einem gedicht, das nur darauf wartet, geschrieben zu werden. winter im winter. die luft so hell, daß die stimmen weit tragen, das bellen von hunden, rosa kindergeschrei, quietschen langsamer räder. daß ich hier so lange war, in diesen räumen, ein ganzes leben, eine ganze welt lang, kommt mir unglaublich vor. es ist das eigentliche, ohne das eigentliche noch zu sein. abermals glocken. so ein geschmack vor der zunge. die uhr schüttelt ihre silbrigen schläge aus. die zeit sammelt sich sirrend im ohr.
ich hätte hier auch gestern sitzen können, oder vorgestern. alle orte sind so, daß sie mich enthalten können, und doch bin ich nirgendwo enthalten.

Backen nach Übersetzungen

Wer ein sach- oder fachbuch übersetzt, der sollte neben der jeweiligen sprach- auch über die der sache und dem fache angemessene sach- und fachkunde verfügen, anderenfalls es zu merkwürdigen texten kommen kann, über die sich der sach- und fachkundige recipient am anderen ende der übersetzungsleitung nur wundern kann. da findet man beispielsweise in einem backbuch nordamerikanischer provenienz bei rühr-, biscuit- und knetteigen tatsächlich die zutat „hefe“. dem korrespondiert in einem ganz anderen kochbuch gleicher provenienz die vorschrift, „backpulver, wasser, öl und mehl zu einem glatten teig zu verarbeiten“ und diesen dann eine stunde „aufgehen zu lassen“. da staunt der laie und der fachmann wundert sich über so viel mangel an fachkunde, den man wohl nicht dem autor des back- oder kochbuchs, sondern eher dem übersetzer unterstellen will.
es reicht eben nicht, ein wörterbuch aufzuschlagen und sub voce „rising agent“ das erstbeste auszuwählen, was wohl (unglückliches zusammentreffen) im ersten fall „hefe“ lieferte, wo richtiger „backpulver“ gewesen wäre, und im zweiten „backpulver“, wo man nur mit hefe ein aufgehen des teiges bewerkstelligen könnte.
hätte der übersetzer, ehe er mit der arbeit begann, sich auch nur fünf minuten über die kunst der teiglockerung informiert, wäre das nicht passiert.

Wanderkarte (1)

Die Glätte schmiegte sich unter die Finger, die immer noch Feinheit hatten, dünne Kuppen. Das war kühl und unberührt, und der schwache Glanz schmeichelte den Augen, die frischen Farben, das Grün und Braun und Schwarz, das helle der waldfreien Flächen. Langsam fuhr er den noch steifen Falz entlang, nicht zu schnell, Kostbares erprobend, dem Knittern lauschend hingegeben. Man mußte sich Zeit lassen. Man durfte nicht den ganzen Raum auf einmal überblicken und in Besitz nehmen wollen:
Halbverborgen sprangen klaffend die Wege auseinander; Wälder hüpften mit einem Knacken aus der verborgenen Landschaft, wichen Feldern und Felder den Wiesen oder sogar Mooren, Brachflächen ließen sich von Wegen zerschneiden, von Pfaden, von Straßen, von Linien und Spuren, deren Schenkel sich träge öffneten und umherschwangen, um dann in der Bewegung seines Fingers genau im Falz zusammenzutreffen und wieder eins und gemeinsame Bewegung zu werden. Das war schön. Trunken von Form griff sein Blick weiter aus. Da ging es hinaus und fort und man kam irgendwohin. Es roch plötzlich nach Farbe und Stiften und nach Papier, und auch das gehörte dazu.

ansonsten:

ein labiles gleichgewicht. meine melancholie ist längst so eine mit spinnweben dran. das bestimmt allerdings nur die art, nicht das leuchten, der melancholie
ansonsten: melancholisch, je sommerer desto -ischer. nun ja. alles lange her. ebenso lange her wie die zeit währte, da wir zusammen waren.
und das alles auch noch in den armen einer neuen beziehung, die daran nichts ändern kann. eine imaginäre untreue: ich betrüge meine frau mit einer erinnerung.

morgens

heute morgen wieder dieser sanfte dunst, der immer an den herbst erinnert: was der raum an tiefe verliert, das gewinnen die düfte, die ausdünstungen einer müden erde, man atmet es, blickauf steht der hang in schlieren, und das gestern ist deutlicher als das heute. eine unwucht, ein nachhängen der wahrnehmung. wären da nicht die blüten, das frisch aufgebrochene, noch etwas hilflos-blasse grün, man hielte es für einen oktobermorgen. die geräusche sind flüchtiger als sonst, der lärm rascher verklingend, und als hätte sich eine art film auch auf die zeit selbst gesetzt, ist jedes trippeln und laufen, ist jede hast ein widerstrebendes gleiten.

wegekreuz

Gestern an alten wegekreuzen vorbeigelaufen, erschöpft zuletzt schon, und mit einem atem, der dünn ist von zweieinviertel stunden wegs, ins seltene gelaufen, in überwachsene pfade, filigranes, zitterndes, gewoge von mücken. zeit. zeit, die hier als ein licht greifbar scheint, als ein stofflich-atembares dunkel, das für sich an solchem ort existiert, in abwendung und gleichgültigkeit. daß ich hier war, zuzweit, es ist wahr und gleichzeitig nicht. so ist das, sage ich mir, schon zum soundsovielten male seit damals, seit der letzten gütigen erscheinung ASTARTES, sage ich mir vor: so ist das. so war es. aber keine grammatik hat das geeignete tempus für diesen satz, so viele sprachen man auch kennen mag.

Aachener Weiher

„Schwäne“, sagte sie und deutete auf die Schichten spiegelnden Wassers, „sieh nur, die Schwäne“.
„Ja“, sagte er.
Aber er sah nicht auf die schneeweißen, gelassen kreisenden Vögel. Er sah auf ihren ausgestreckten Arm, ihren grünen Mantel, das spiegelschwarze Haar, nicht die Wasserkreise, sondern die Kreise ihres konzentrierten Blicks nahm er auf, und die traurig vorgestülpten Lippen.
Später aber würde er sich immer an die Schwäne erinnern, und das erste, was das Heranholen dieses Augenblicks zutage förderte, würde von Federn handeln, über die Wasser perlt; von Schwimmhäuten zwischen horniger Haut, die im trüben Wasser wedeln; und dann sähe er die vornehmen Augen, die sanftgeschwungenen, traurigen Schnäbel.

auf einem alten friedhof, an einem tag im februar

wieder erinnerungen, wo man bereit ist, sie nicht zu erwarten: das brot im knisterlaub, in die helle geschrieben. wabernde schaufenster, herrische verkehrsampeln. überall, fast überall. hier war ich mit dir, und ich sollte wohl besser „ihr“ schreiben, und da waren wir auch.
laub im hof: in ständigem kreis kratzen wieder die sterne ans fenster. die altäre stehen leer. moos auf den knien von statuen, den flügeln von engeln, spitz wie schulterblätter. zwei schwerter des behutsam aufgehobenen glücks, messerscharfen glücks. ein ichkannnichtmehr, dessen blaßrosa schrift verläuft und eins wird mit erde und duft. klarsichthülle um abschiedsbrief, während schritte sich entfernen, handinhand, und der kies leise knirscht, als schäme er sich, ein geheimnis preisgeben zu müssen.

Über der Stadt Trier

auf der brücke sah
er sich noch einmal um, während allerorten
ASTARTES
schweigen wuchs und wuchs
ein wanderer mußte er werden, nun
da der strom unten in reine strahlung
aufging, die brücke in nichts als in
helle fortrug

da stand er und sah
erde sich drüben beständig in himmel
wandeln, in leuchten
drüben, am ende schon,
wo der wein überm ufer des raums
nur ein atmen war hinauf
klimmende höhung, streckung
in wölbung und zeit.

zeit:
wäre sie wenigstens
voll mühe und mürrisch
täte sie doch weh
und wär nicht dies lächelnd
zergleiten unter
Auge
und schweigen, das wächst und wächst
der schönen,
der schrecklichen
ASTARTE.

im bus

andertalb stunden vor ostern. auch das ist schon wieder fast damals. räume geben sich ständig neue ordnungen, scheint es. wege versammelten das laub gestriger gedankengänge auf der stirn, und man muß, man möchte den leuchtbojen des ahorns folgen, und wieder straßenweise, vielleicht ja, vielleicht einmal: vorankommen.
während man sich vom bus durchschaukeln ließ, erlangten die verweise wieder schärfere kanten. dies war also so und … das und das andere … undsoweiter, sortage und ablag, und dazwischen spulen die elstern alte koordinaten ab. laub, laub, laub auf der stirn. überm strom ein nicht enden wollender bogen müdigkeit, darunter die schlaffen schiffe, sieh, wie sie gegen die erschöpfung kämpfen.
zeit, eine insel zu kaufen und eine zeitung von gestern, dachte ich und suchte weiter nach kleinen gegenständen, schrauben, federn, zerbrochene bleistiften, knöpfen, wie man nach etwas verlorenem sucht, und nach einer idee zum auswildern.