Montag, 12. Februar

Laufen, nachdenken, Geschichten ausspinnen.
Jüngste Erinnerungen.
Gänge.
Umarmungen.
Vieles ganz nah. Anderes wie unter Glas. Eintauchen, auftauchen, Rückblick auf spiegelnde Flächen, gebrochene Tiefen.
Liebe ich? Früher war das einfacher zu beantworten. Autobahngefühle. Jetzt ist alles verlangsamt, das Denken, das Weitergehen, die Labyrinthe des Herzens. Mal bin ich spätdran. Dann wieder fehlamplatz, im falschen Haus, im fremden Garten, am Tisch Unbekannter, versponnen in die Stunden einer verfehlten Zeit. Aus der Entfernung ist das so. Ich kenne das nicht, daß Entfernung keine Sehnsucht bedeutet, und Nähe trotzdem Nähe ist, Hingabe und Aufgehobensein.

when everything made sense, long ago

“There was a time in my life when I spent many months in utter darkness. I wasn’t really unhappy. In a sense, I was relieved. It was sad. It was bitter. But it wasn’t unbearable and I developed even something like a pride for my love and my pain. I lived in a cloud, shrouded in black veils. A nonsensical job in an office where orthographical and stylistic revisions where performed and which entailed long commuter trips to Düsseldorf and back, a lack of orientation after University, and a general uneasiness about life and my aims and further struggles in this world added to my state of mind. I saw so many rainy train stations; so many sad, shivering people waiting for something; so many desolate places, wet railways, shimmering in the yellow light of electric beacons, graffiti on lifeless train hulls that looked like helpless whales thrown onto the beach. While over me arched the constructions of a forgotten race of steel-builders, whose works of wonder and of genius served now as a brooding place for doves and gulls, and the faint echoes of machines and vehicles, once filling the beautiful halls, whispered from time to time between the cracks in the iron. The stars shone above, on the other side of the huge masses of metal, glass and stone. The walls were covered with symbols of a script of which no memory knew; and the shadows of the moonlight that seeped into the darkness drew whispering traces among the pillars. I was soaked with sadness, exhaling sadness, being blinded by sadness.
There was a dark and warming spell over me like the light steps of an angel at my side, an angel who cherished my pain and kept a hand over it, kept vigils to it, adorned it and clad it in bright garments. A dark angel with a sad heart who needed my consolation as much as I needed his sadness. I felt chosen to suffer. I had the feeling that what I had gone through had to show me something. And I felt in-the-world again, I could touch and see and smell; the cold was burning on my cheeks, the ice was glistening, the ground frozen hard. I was alive; and I was sure that everything made sense and that I would never be alone.”

federgeistchen, paradoxa, phrasen und andere assoziationen

wer sucht, findet nur die eigene ungeduld.
nicht zu suchen, was man sucht, ist natürlich ein bißchen so, wie anfangen, ohne einen anfang zu machen, was ich gerade mit mehr oder weniger gutem erfolg getan habe, das anfangen, meine ich. selbstbetrug als eine intelligenzleistung aufzufassen, finde ich einen höchst originellen gedanken, auch wenn das gewissermaßen paradox ist, aber das ist ja das konzept des selbstbetrugs schon an sich, ein bißchen so, als spiele man schach gegen sich selbst … paradoxien mag ich aber, auch scheinparadoxien und ihre auflösung, zum beispiel das bratwurst-paradox, aber auch die echten, unknackbaren.
ich finde, „hobby“ ist nicht nur ein fürchterliches wort, sondern erachte das, was man gewöhnlich damit bezeichnet, als zeitverschwendung. wenn man etwas tut, dann, bitte, mit vollem ernst, sonst braucht man erst gar nicht anzufangen, weshalb ich beispielsweise (um die assoziationskette nicht bareißen zu lassen), niemals das schreiben als mein hobby bezeichnen würde, und außerdem wollte ich „abreißen“ schreiben, was nichts zur sache tut. berechtigterweise kann man nun fragen, wie man denn etwas betreiben muß, um berechtigterweise sagen zu können, daß man es mit vollem ernst tue. darüber müßte man mal ausgiebig diskutieren. vielleicht liegt meine abneigung gegen hobbies auch in ihrer durchschnittlichen instantiierung begründet, denn weder zierfische noch postwertzeichen, weder ping-pong noch fußball reißen mich vom hocker, origamis, makramé und patiencen legen womöglich noch weniger, und, bitteschön, mit-freunden-weggehen ist überhaupt kein hobby, lesen auch nicht, sondern so wichtig wie das tägliche brot, das lesen meine ich, womit ich impliziert habe, daß hobbies unwichtig sind, was aber gar nicht stimmt, jedenfalls nicht für die, die eines pflegen. die freunde sind natürlich ebenso wichtig wie das lesen, vielleicht noch mehr, aber nicht unbedingt das gemeinschaftliche besäufnis, obwohl auch das manchmal seinen reiz hat, sogar oft einen erheblichen reiz, aber ich schweife wieder ab.
schweifen, um den faden wieder aufzunehmen, ist auch kein hobby, aber ich tus gern, in wald, wiesen, bergen oder am meer, dort wo wildnis zurecht so heißt. überhaupt wildnis. wildnis ist schön, wildnis ist schrecklich, wildnis brauche ich manchmal wie die luft zum atmen. wildnis ist besonders gut, wenn das zelt dicht, der schlafsack trocken und das bier kalt ist, alternativ der glühwein heiß und süß.
süß ist, da das wort nunmal gefallen ist, so ein adjektiv, das man mit vorsicht gebrauchen sollte, das heißt, sparsam und mit bedacht, und man sollte es mit referenz auf menschen mit höchster moderation verwenden, es sei denn, man beschreibt die person, in die man verliebt ist — dann aber kommt sein gebrauch einer tautologie gleich. wie ich finde. umgekehrt ist es auch nicht entscheidend, wie jemand aussieht, jedenfalls nicht entscheidend dafür, ob man sich verliebt oder nicht.
im übrigen habe ich eine starke abneigung gegen leere phrasen, vor allem, wenn sie vorgekaut und x-mal wiederholt sind; mit dieser abneigung ist der anspruch bedingend verknüpft, man möge bitte nachdenken, bevor man etwas sagt. ich meine natürlich darüber, was man zu sagen gedenkt, es hilft ja nix, über das paarungsverhalten von federgeistchen nachzudenken, ehe man etwas zum beziehungsgespräch beiträgt … letztere finde ich übrigens, besonders unter dieser bezeichnung, entbehrlich, denn wenn zwei menschen etwas miteinander zu verhandeln haben, dann sollen sie es einfach tun, ohne höhere ebene und meta. meta ist ungesund und macht unsicher und unglücklich. also heraus mit der sprache, ohne umschweife und herumdrucksen und verweis auf die beziehung. überhaupt „beziehung“, was für ein klinisches, antiseptisches wort. ich mag es nicht. ich sage lieber „liebe“, auch wenn es noch so abgegriffen ist. dann schon lieber abgegriffen als klinisch, wobei hier wieder ein verweis auf die moderation des gebrauchs fällig ist. ein weiteres wort, daß ich sehr ungern höre, ist das wort „lebensqualität“. aber davon, und auch warum ich niemals „handy“ sondern immer nur „mobiltelephon“ sage, ein andermal, wenn es jemanden interessiert, und ich hätte auch vollstes verständnis dafür, wenn das nicht so sein sollte. dann laßt uns über was anderes reden. leider weiß ich sehr wenig über quantenphysik, und mir ist nicht einmal bekannt, was ein „tölt“ ist, auch wenn es ein schönes wort ist, aber vielleicht möchte man das ja erläutern? und vielleicht interessiert sich ja jemand für ergativität im dyirbal oder die frage, was horaz in seinem dritten carmen des dritten odenbuches sagen wollte … also davon vielleicht ein andermal, wenn es dazu kommen sollte.

Ein Schwindel erfaßte den Fremden

Von meiner Wohnungstür waren es nur drei Schritte an den gewaltigen Müllcontainern vorbei zum Sturzblick auf die Burgstadt, hinab und wieder steilauf, das hohe Gold, die dunkle Flagge, den erleuchteten Himmel darüber. Da blieb ich oft stehen, während eine Katze nebenan davonglitt und im Schatten eines Wagens verschwand. Unten, nachts in Goldfolie eingeschmiegt, tags je nach Licht versunken in den eigenen Fels, oder den Himmel darum, oder verkantet von rotem Schatten, lag der Tempel. Unten und doch oben, drüben, von Hügel zu Hügel geschaut, wo ich stand. Die Katze sprang davon, man klimperte mit Besteck, Fisch und Knoblauchduft, ein Hauch von Wein und Lauch wehte vom Restaurant an der Ecke.
Meistens ging ich zur Nacht, die früh kam in jenen Breiten, und es wurde ja wieder Herbst, wenn auch das Gefühl für die Jahreszeiten durcheinanderkam, die Wärme, das Mittagslicht, die Düfte, nichts stimmte, und doch wehte Laub, leuchtete manch gelbroter Baum, duftete die Erde, wo sie frei lag, im Regen. Ein Schwindel erfaßte den Fremden, eine Verwirrung, eine Seekrankheit der Zeit.

aufräumen

du fragst, wie es mir geht — ganz gut, glaube ich. ich bin immer vorsichtig mit beurteilungen meines eigenen zustandes, aber ich kann wohl sagen, daß es mir gut geht. die vorlesungszeit geht diese woche zuende, ein sehr schwieriges semester liegt hinter mir, ich habe die klausur gut bestanden und obendrein kann ich im frühjahr die magisterprüfung ablegen.

Gang

ich habe das gefühl, plötzlich wieder kraft zu haben, und die luft ist plötzlich leicht und herrlich zu atmen. nichts drückt mehr auf der brust, wie es so viele wochen — und das bemerke ich jetzt erst so richtig — mir wie stein, stahl und sturm den atem nahm. ich komme mit weniger schlaf aus, das laufen macht wieder freude, und ich mache mich langsam daran, ordnung in mein leben zu bringen. mein zimmer ist der anfang. aufräumen, ausmisten, umstellen, neu ordnen, licht in winkel fallen lassen, die jahre in staubigem dunkel lagen und zähen, hemmenden schleim angesammelt haben. ich wühle drin herum und bewege gegenstände, die so lange unbeweglich waren, daß sie eine todesstarrheit um sich verbreiten. ich puste, und der staub von jahren wirbelt davon und fängt plötzlich munteres licht ein. die fenster stehen sperrangelweit auf. alles soll hell und freundlich, sauber und warm sein, und dann wird es vielleicht auch wieder hell, sauber und freundlich in mir.

stille

heute morgen wieder laufen, in einem wunderbar dämmrigen, weißtröpfelnden zauberwald. keine tiere. die vögel wie eingeschüchtert vom schnee, die rehe ins herz der dunkelheit zurückgewandert. ich ließ die stirnlampe aus. so sah man besser den weg. zur zeit liegen überall holzstöße an den wegesrand gebaut, holz, das der letzte sturm geworfen hat. in der feuchtigkeit riecht es wie tabak und mais.
später ist der lärm der straßen wie ein schock. obwohl man es doch kennt, ist man fassungslos. wie ist das nach soviel stille nur möglich? wo kommen die alle her? weiß denn keiner außer mir, wie still es war im wald?
spätesten nach dusche und frühstück, wenn ich wieder auf dem fahhrrad sitze oder mich im menschengeschiebe in den zug drücke, ist es wieder normal.
als sei ich nie im wald gewesen. als gäbe es diesen wald gar nicht, dieses nasse schweigen.

geister

es gibt geister, von denen kommt man nicht los. wahrscheinlich nie mehr.

da heißt es tragen tragen tragen, und gehen, und weitertragen. an sich selbst. an sich selbst schwer tragen. sich selbst eine last.

mit dem finger den wein auf der tischplatte malen, einen namen, einen schwanenhals, einen kiesel. dem rätsel so nahe sein wie nie, aber nie mehr so wie damals.

in der winterkälte bogen sich immer die photographien. wie sich etwas einbrennen kann: ich weiß noch genau, wie sich das bett anfühlte, der stuhl, der widerstand der tür beim öffnen und schließen, schränke, spüle, die gegenstände, die geräusche.

aufsehen vom tisch und den schwarzen pferdeschwanz wippen sehen, draußen im licht, draußen. ich bin gefaßt auf das zusammenzucken, und dennoch kommt es jedesmal unerwartet.

geister kündigen sich selten an.

morgens

die zeit der dunkelläufe geht zu ende. die vögel kündigen hellere frühstunden an, schon liegen dämmerungen voll rotkehlcheneinsamkeiten über schimmerndem stahl. am morgen, zwischen trübmond im westen und oxydblau im osten der erste der zaunkönige, und später, leuchtend aus dem dunklen gewirr von brombeeren, ahorn und kiefer, die unsichtbare amsel.
die beine haben das laufen nicht verlernt, doch sind sie schwer, winterschwer, träge von ruhetagen, fiebertagen. aber die lust ist wieder da, zum erstenmal nach wochen, die lust am entzücken, am atmen, am fluß der bewegung, die lust an erschöpftsein.
jeder morgen ein stückchen heller, eine vogelstimme mehr. bald kann die stirnlampe zu hause bleiben.

RAF

ich kann sie verstehen, diese menschen. mir möchte auch manchmal die hand ausrutschen; oder es juckt mich, ein paar autoreifen aufzustechen; ein paar antennen abzubrechen; eine autobahn zu blockieren; ein paar steine zu werfen; reihenweise werbeplakate herunterzureißen. warum? aus neid? nein: weil ich mich in meinen elementarsten bedürfnissen tagtäglich beschnitten fühle.

natürlich ist das etwas anderes als auf menschen zu schießen. daß das einer wirklich tut: das verstehe ich nicht. aber den haß und die wut, die ihn treibt, die habe ich auch in mir.