Morgen zum ersten mal die neue reise. Wie oft bin ich diese strecke nun schon gefahren? Bonn, Koblenz, Mainz, Mannheim. Mannheim, Mainz, Koblenz, Bonn, neuerdings, seit der Intercity mit dem ehemaligen Interregio (ältere leser werden sich erinnern) zu (aktuellen, nicht ehemaligen) Intercitypreisen zusammengelegt worden ist, auch mit halten in Andernach, Remagen und Bingen. Aber das ist ein anderes thema.
Seit 1992 mehrmals im Jahr das Rheintal, die Weinberge Rheinhessens, später in der rötlich durchschimmerten ferne die Lichter der BASF, dahinter, eine dunkle linie über der ebene, die kämme des odenwalds unter den blauen osthimmel gespannt. Oder umgekehrt, zuerst die häuserschluchten Ludwigshafens, die immer wie vermodertes plastikspielzeug aussehen, bemoost und in der sonne ausgebleicht, dann der wein, die manchmal wolkenbewachte einfahrt ins rheintal, kurven, kurven, flußgeglitzer, manchmal die Loreley, ich weiß nicht, was soll es bedeuten. Wenn das Siebengebirge in sicht kam, konnte ich schonmal buch, schokolade, walkman, später cd-spieler, in letzter zeit mp3-spieler verstauen. Mehlem, Bad-Godesberg, aussteigen. Es müssen hunderte von malen gewesen sein. Die landschaft hat sich verändert, häuser sind gebaut und abgerissen worden, bahnhöfe restauriert, straßen neu gepflastert worden, selbst der rhein ist nicht immer derselbe gewesen. Mehr noch hat sich das land und der strom aber in mir verändert, ist vertraut geworden, hat sich abgesetzt, hat sich mit erwartungen, vorlieben, abneigungen und wiederholungen durchsetzt, hat hier farbe bekommen, dort farbe verloren, hat die töne und schattierungen gewechselt, verwirbelt, auf den kopf gestellt. Ist durch mich gegangen, hat sich abgewetzt, hat abgefärbt. Hat sich schließlich tief eingeprägt und ein bild von sich dagelassen. Wie viele male braucht es, bis aus einer landschaft eine art von heimat wird? Zumal, wenn man sie immer nur in bewegung, immer nur als punktreihe zwischen hier und dort, zwischen heim und heim, betrachtet? Eine reiseheimat, zweistundenheimat. Immer vom eigenen fenster aus betrachtet, für zwei stündchen wohne ich von Mannheim bis Bonn. In quadratmetern nicht ausdrückbar.
Am schönsten war immer die explodierende sonne über dem weitgespannten Rheinbogen kurz hinter Rolandseck, von Bonn kommend: in den schatten hineingestaucht fällt plötzlich das licht über die rebenhänge, stürzt auf den strom nieder und breitet gleißende schlieren auf die wasserfläche, plötzlich ducken sich die stolzen schiffe, bis nur mehr schatten von ihnen bleiben. In der ferne sah man manchmal den eigenen zug, der rumpf perspektivisch zu einer eleganten schlange verschmälert, dem schluchtengen wiedereintritt ins rheintal zustreben. Zwischen die hänge, die den himmel zwischen sich nehmen und emporwerfen. Wenn ein besonderer tag war, flutete Bach oder Sibelius aus den kopfhörern.
Morgen heißt es nun in Mainz den Rhein überqueren, was völlig falsch gewesen wäre, all die jahre, ein zeichen, daß man sich geirrt, daß man den fahrplan falsch gelesen, daß der schaffner einen kater hatte und die lautsprecheransage verrostet war. Das soll nun also stimmen mit einemmal?
Ich werde mich nicht geirrt haben. Ich werde bei Mainz den Fluß überqueren, die am horizont gespannte linie des odenwalds wird dicker wulst von hängen mit burgen daran sein, die städte heißen nicht Ludwigshafen oder Alzey, sondern Darmstadt und Weinheim. Mein Vater wird mich abholen in einer fremden bahnhofshalle, wir werden die bergstraße entlangfahren statt über den Neckar, die berge werden links sein, nicht geradeaus. Das haus liegt am hang, sagt man mir.
Wo kann ich meine schuhe hinstellen, werde ich fragen?
Ob das merkwürdig ist? Die vögel auf dem balkon werden die gleichen sein.