tagesschau

so leicht lassen die türen sich drehen, daß einen der ekel überkommt. türauf, türzu, türauf, licht an, stuhlgeplumpse, müdrücken, und die tastatur hängt sich wie fanggewebe an die finger. das bekomme mal einer wieder weg.
tagesekel. lichtekel, baumekel, fensterekel, und zwischen den augen blaut lüstern allfällig der sturm. lammellierte sonne zirpt in zerscheibtem himmel, indes ansagenlautsprecher mürben lärm herauswürgen, und da stehen sie wieder mühelos, die alltäglichkeiten, bereit, unseren händen zuzuspielen; keine sperre stellt sich in den weg, mit spannung erwartet man die neusten überraschungslosigkeiten. frau soundso, die alle welt kennt, ist schwanger von herrn xy, den auch alle welt kennt, aha aha. auch schon öfter gesehen: öffentlich angepriesenes gift, das ein besseres leben verspricht, obwohl es tödlich ist. auch schon dagewesen: eingeweide auf asphalt. allerdings haben die ihren ganz eigenen charme, zugegeben, vor allem, wenn noch brustkorb und beine dran sind und sie als verwackeltes videobild dargeboten werden. da schaut man gerne hin, da macht man es sich gemütlich. hier werden embryonen gegen eine wand geklatscht, um sie zu töten, dort brüllt unterdessen ein waschmittel steife parolen, und die mutter liegt gebrochenen blicks mit klaffendem bauch in der gosse. mit zwilling schneiden Sie immer gut ab. wir waren dabei, als man dem freischärler einen spitzpfahl vom anus her durch den leib schob und belegte brötchen dazu salsa tanzten, wir haben es gehört, wie eine zahnpasta das ewige leben predigte. aber beruhigend, daß nichts so schlimm kommen kann, daß sich irgendwas änderte. es ist alles in bester ordnung. erwartungsgemäß krähen die stimmen, die keiner hat hören wollen, und vor lauter freude gehen die uhren im gleichtakt. keine spur von sand. die sache läuft rund. bremsen wird allmählich gefährlich. aber warum auch, wo doch der fahrtwind so schön kühl ist.

und weil das ich bedeutender ist als der tod des freischärlers: wäre das ein leben gewesen, frage ich mich. aber welches. und auch das hat man hinter sich schon lange, längst ist man in einer welt nach den jahrhunderten angelangt, längst pfeifen die leeren räume, und vor uns ist alles schon gewesen und gut sortiert und aufgeräumt. anfänge heulen den mond an nächtelang. wäre, ach wäre wenigstens ein brausender abgrund. aber selbst ein schöner sturz ist kaum mehr originell. der untergang ist auch nicht mehr das, was er einmal war. zu viele gehen dafür unter. zwischen leben (öd) und sterben (öd) bleiben nur noch die glanzlippenmoderatorinnen, gewinnspiele ohne gewinn, der konjunktiv, der allesmixer, 0190er-nummern, free sample sex videos, absatzfördernde labyrinthe, funkvogelschreie, sommerschlüsse, diätetische warnungen (daß einem nicht langweilig wird), cellulitislotionen, die neuerdings cellulitelotionen heißen; und hilft das nicht, haben wir ja zum glück noch telephonhüllen, geköpfte söldner, singende krokodile, verbuddelte säuglinge, personalized sneakers, abgehackte gliedmaßen, mißhandelte kindergärtnerinnen und andere alltagsspäße. von gedärmen auf straßenpflaster war ja schon die rede. halbtransparente erdkugeln drehen sich zu einem weckergepiepe, als hätte unser letztes stündlein geschlagen (was es wohl wirklich hat). wird alles zu spaßhaft, bleibt natürlich zur erernstigung immer noch der METUS TERRORIS. sei wachsam, überall kann es dich treffen. jede jeansjacke ist verdächtig. und wenn es am end eine lederjacke war, macht es auch nichts. so ist dafür gesorgt, daß man nicht nachlässig wird, daß man mißtrauisch bleibt, sorge dich, aber vergiß nicht, dich zu UNTERHALTEN. sorge dich nicht zuviel, und vor allem, ohne deinen denkapparat in betrieb zu nehmen. der himmelTM ist auch schon aufbereitet. und rauchen kann tödlich sein. wäre es nur so. es bleiben statt dessen für einen schnellen tod nur stricke aus öko-sisal (für neurodermitiker geeignet), rasierklingen mit kindersicherung und schales gift® (light) mit naturidentischen aromastoffen. vorsicht! enthält eine phenylalaninquelle.

wo bleibt man da mit der herzensangelegenheit. mit der herzensangst. überhaupt mit dem ganzen herzen, schon zuckt man zusammen, als hätte man etwas schwerverdauliches gesagt. nimm mir nicht das wort aus dem mund, aber es ist schon zu spät. für jede regung gibt’s schon eines, und man kann sicher sein, daß es bereits schimmel angesetzt hat. wie soll ein gefühl noch an die hochglanzseiten heranreichen? und wie sollte mein, unser kleines fühlen den televisionären, den maximalen, den bunten ansprüchen genügen? ein wort wie liebe, lächerlich. ein wort wie zorn, anmaßend. — ein wort wie du: unbrauchbar geworden. wir sind vorgelebt, wir schnittmustermännchen. wir sind kopien und nacheiferer imaginärer originale. du bist verliebt? sei doch nicht albern. du bist verzweifelt? so’n quatsch, du bist ja nicht mal im fernsehen. du bist traurig? ich bitte dich, du kannst dir ja nicht mal den therapeuten leisten, der dir das diagnostiziert.

da könnte ja jeder.

kein

niemand
schreie ich ins nichts
und das nichts
nimmt es hin

das schweigen hat viel raum
da kann man schreien so viel
man will.

paßt immer noch ein
keil verzweiflung
hinein irgendwo
zwischen einmal stille
und zweimal stille

wieder schweigen?
nein
jedes
schweigen
hat ja seine eigene maske

und darunter
wir selbst, unerträglich
gespiegelt

jede keine antwort
ist eine neue keine antwort
ein nie gehörtes kein ja
ein ganz frisches kein lächeln

wie ein frühlingsmorgen
ja, jedes abwenden
lächelt auf seine eigene weise, und

jedes mal leerbriefkasten
fügt dem warten
ein neues steinchen zu

hart wie glas
draus baut man sich einen palast
da ist viel platz, wie im nichts
zeit hat man ja nun

genug

der 20ste.

das gastmahl war; und nun?
zitterte mit verschlungenen eingeweiden durch die gedehnten stunden des nachmittags, schlich mich zum einkaufen, wankte zurück. sah dreimal im seit gestern gepackten rucksack nach, ob ich alles hatte, wein, stadtplan, die CD vor allem. legte mich aufs bett mit trockenem mund und klopfendem herzen, lauschte dem gluckern im bauch, stand wieder auf, ziellos. aß noch etwas, was zuviel war. legte mich wieder hin, hörte musik, zuletzt, kurz vor dem aufbruch, Brahms. sah noch einmal nach: die CD war immer noch da. schrieb endlich in dicken lettern „DIE ANGST“ auf einen notizzettel, faltete ihn zusammen sooft es nur ging, und auf der rheinbrücke, genau in der mitte des stroms, warf ich das papier in hohem bogen in die graubraun strudelnde flut; wartete, bis es unter meinen füßen davongeschwommen war. atmete. da war mir tatsächlich leichter.
und dann geschah das gastmahl.

laß endlich die alten geschichten.
wirf deinen kummer hinaus in die lüfte, vertrau ihn dem himmel an, laß ihn fliegen, den schwarzen vogel wehmut, laß ihn endlich frei. gib das Alte auf, flüstere es in einen hohlen baum, grab ein loch in die erde, dort sprich es hinein und schütte es zu. oder schreib es auf einen stein und schleudere ihn ins meer.
dann halte deine hände wieder auf den wundern. sieh hin, hör zu, male ein fragezeichen, gib dem gang der dinge einen kleinen schubs. höre Dvořák, lies Ovid, verwandle dich und freue dich auf das gastmahl.

Gastmahl

Dant etiam positis aditum convivia mensis:
Est aliquid praeter vina, quod inde petas.
Saepe illic positi teneris adducta lacertis
Purpureus Bacchi cornua pressit Amor:
Vinaque cum bibulas sparsere Cupidinis alas,
Permanet et capto stat gravis ille loco.
Ille quidem pennas velociter excutit udas:
Sed tamen et spargi pectus amore nocet.
Vina parant animos faciuntque caloribus aptos:
Cura fugit multo diluiturque mero.
Tunc veniunt risus, tum pauper cornua sumit,
Tum dolor et curae rugaque frontis abit.
Tunc aperit mentes aevo rarissima nostro
Simplicitas, artes excutiente deo.
Illic saepe animos iuvenum rapuere puellae,
Et Venus in vinis ignis in igne fuit.

gastmähler auch bei gedecktem tisch können zugang gewähren:
mehr noch gibt es als wein, was du dort ansprechen kannst.
oft hat der purpurne gott dort genommen den Bacchus beim horne
und den bereiteten dann sachte gedrückt mit dem arm,
und als der wein die durstigen flügel Cupidos benetzte,
stand er beharrlich und blieb ernsthaft am selbigen fleck.
jener zwar schüttelt wohl rasch das vom weine getränkte gefieder,
Amor jedoch trifft selbst dann, wenn er die brust dir nur netzt.
Wein entspannt die seelen und macht sie für gluten empfänglich;
wo sie viel wein fortgespült, fahren die sorgen dahin.
Dann wird gelacht, dann setzt sich der arme die hörner des stiers auf.
sorge und schmerz gehen weg, wie auch die runzeln der stirn.
und dann öffnet die herzen die in unseren zeiten
seltene einfachheit, während der gott übt die kunst.
dort haben oft die mädchen der jünglinge herzen gestohlen
und frau Venus im wein war in dem brande ein brand.

ars poetica

Nec sic incipies, ut scriptor cyclicus olim:
“Fortunam Priami cantabo et nobile bellum”.
Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu?
Parturient montes, nascetur ridiculus mus.

noch sollst anheben du wie einst der epische dichter:
„krieg der Edlen will ich besingen und Priamus’ schicksal“ –
Was wird uns würdiges zeigen, wer seinen mund derart voll nimmt?
berge liegen in wehen, heraus kommt ein lächerlich mäuslein.

gleichung

die nacht vor meinem geburtstag war es, da kam plötzlich der gedanke: irgendwann werde ich ebensolange nicht mehr mit ihr zusammen gewesen sein wie ich mit ihr zusammen gewesen bin. könnte mich dieser tag entlassen, oder ist es dann immer noch und erst wirklich schmerzlich zu denken:
es war nur vorübergehend.
denn die zeit mit ihr, sie wird dann für immer kürzer sein als die anschließende zeit ohne sie, die anhält und anhält und immer weiter wachsen wird.

in wenigen tagen, am 13ten, unser nunmehr ungültiger jahrestag, es wäre der vierte gewesen erst.

traum

wieder geträumt, aus blinden räumen plötzlich hervorgetreten, vom wein entblößt, vielleicht: wieder sie und doch gleichsam verwandelt, eine neue frisur, kurzhaar und frech wie ein erstarrter sturm auf dem kopf, ich treffe sie mit ihm und will ihnen ausweichen, aber der raum wird zu eng, enger als berechnet, ich muß einen sprung machen, und sie merken, ich hab sie bemerkt. ihm weich ich aus, er bleibt in der nähe, aber mischt sich nicht ein. gegen sie aber bin ich auf eine weise kühl, die mich selbst schmerzt, aber es ist, als sei ich nicht ich selbst, als spräche eine andere gewalt in mir, ich kann nicht anders als rüde sein, abweisend, ablehnend. sie ist neutral. höflich? nein, einfach nur neutral. ich will ihr kein zeichen der zurückweisung geben, ich will ihr zeigen, daß sie so viel für mich bedeutet, es ist lebenswichtig in diesem augenblick, aber es geht nicht, ich bleibe eiskalt. irgendwann fehlt sie, ich stehe an ein mäuerchen bei einem aufzug gelehnt, ich denke, das wollte ich nicht, und der mund verzieht sich mir zum stillen weinen.

Naso

lachendes murmeln wache gesichter da federt die stimme. da wirbeln die worte, da verketten sich die gedanken. und der atem erschafft und beugt und formt den raum. auf einer bühne sein. auspacken, einpacken, verbergen, enthüllen, zaubern und verzaubern, den dichter wiederdichten kenntnisreich, blicke herumführen wie ein puppenspieler die fäden hält, und spielen, spielen, sich selbst spielen, und die grenze zu sich selbst aufheben, wände in sich einreißen und zerkrümeln lassen: Macht, ein brausen, brausen, und hämmern, und das herz so offen und sich hinneigend nach dem außen, den anderen, begierig nach blick, begierig nach bewunderung, begierig nach liebe –

dann –
ist stille. eine stille, in der man zappelt wie in einem netz. und einen langen ödtag hört man das inwendige brausen langsam langsam verklingen. es wär ja auf dauer nicht auszuhalten, dieser rausch; aber die stille ist fad. da wären wir wieder. nüchtern. in einer ahnungslosen welt.

Naso

Iamque opus exegi, quod nec Iovis ira nec ignis
nec poterit ferrum nec edax abolere vetustas.
cum volet, illa dies, quae nil nisi corporis huius
ius habet, incerti spatium mihi finiat aevi:
parte tamen meliore mei super alta perennis
astra ferar, nomenque erit indelebile nostrum,
quaque patet domitis Romana potentia terris,
ore legar populi, perque omnia saecula fama,
siquid habent veri vatum praesagia, vivam.

schon hab das werk ich vollendet, das Iuppiters zorn nicht noch feuer
noch kann das eisen zerhaun, noch zerstören das nagende alter.
Mag jener tag, wenn er will, der nur des sterblichen körpers
rechte besitzt, mir beenden die spanne des unsichern lebens:
ewig doch werde ich kraft meines besseren selbst über höchste
sterne gehoben sein, und mein name wird niemals verlöschen,
und, wo die römische macht auch die länder immer bezähmt hat,
werd ich gelesen vom volk, und im ruhme durch alle äonen
werde ich, ist etwas wahr an der seher ahnungen, leben.

Naso

der meister
schreibt

die körper zeichnen
neu
in den raum sich

der raum nimmt
den unglauben auf
und wirft ihn verwandelt
zurück

der meister schreibt:
seine tränen
lassen uns grinsen

sein lachen
bleibt uns im halse stecken

starre

gibt es ein höchstmaß für die anzahl von erinnerungen, die ein ort aufnehmen kann, ohne daran risse zu bekommen, ohne für den räumlich fühlenden schal, ja, unerträglich zu werden? gibt es ein höchstmaß der intensität, die ein ort vom erlebten empfangen kann, ohne unter der last zu verschwinden, ohne ein tempel zu werden, dessen innenfaltungen man nicht mehr zu betreten wagt?
und wenn es dieses höchstmaß gibt: muß man dann nicht gehen? hindert der ort nicht jedes weitere ereignis? führt er nicht den gast, den wandrer, den einwohnenden in eine lebensstarre, weil vor all dem erinnerten die hände sinken, die stirn fahl wird, der mund trocken und bar aller nur möglichen worte?

hangend
in einem vogelflugvoll raum

und wieder,
denk ich,
einen fuß schlackernd
in der luft

die hände rudernd
nach einer stunde halt

die zeit stürmte. wie sie es immer tat.
und der mond stahl der unruh eine stunde.

am fuß nistete geraschel.
laubwerfende stunde
dachte ich und schriebs
mit dem fuß in den sand.

die perpendikel sahen zu
wie kristall sie bewuchs.

und wieder
sagte ich zur pergamenthaut
des feuersalamanders.

er aber hielt mir nichts hin
als das trockene
seiner gebrochenen farbe.