Geschmacksurteile

Mit bestürztem Erstaunen lese ich, daß einer, den ich für einen Meister halte, sich abfällig äußert über einen, den ich gleichfalls für einen Meister halte. Das steht quer. Das trübt ein.
Warum aber?
Die Anfälligkeit ist immer da, mir das eigne Entzücken von jemandem ausreden oder auch nur säuern zu lassen, dessen Urteilskraft ich hoch einschätze, und beeinflußbar bin ich deshalb, weil sein Schaffen mir Bewunderung abringt. Daß dieser von mir bewunderte Künstler einen anderen Künstler, den ich auch bewundere, ablehnt, will mir nicht passen. Ich schließe aus dem Gegenstand meiner Bewunderung, der Kunst des Meisters, auch auf eine bewundernswerte Urteilskraft in diesem Meister. Wahrscheinlich ist das schon verkehrt. Die Wirkung ist die, daß ich, aufgrund angenommener eigner Kleinheit, meinem Urteilsvermögen nicht mehr trauen mag.
(Als gäbe es ein Maß für die Gültigkeit eines Geschmacksurteils: Aber das ist das stillschweigende Als-ob einer jeden künstlerischen Kritik.)
Die Frage ist, ob es sich vereinbaren läßt, und wenn nicht, wer sich als der Stärkre erweist. Lassen will ich durchaus von keinem der beiden.