Echtraumtraum

Vor einigen Wochen von der Vielfarbigen geträumt. Eine nächtliche Fußgängerzone, Kleinstadt, drei Gassen kreuzen sich unter dem Streuschein unsichtbarer Laternen, vielleicht ist es auch der Mond, der den stillen, von schweigenddunklen Häusern oder Läden begrenzten Raum mit Nebellicht füllt. Wir hatten ein Treffen vereinbart. Stille, kein Mensch unterwegs. Nur sie ist da, wartet schon, sieht mich nicht. Ich nähere mich. Wußte ich schon, wen ich treffen würde, wußte ich es von Anfang an? Ich glaube ja. Sie steht abgewandt. Es ist Th. Ich weiß es, ich muß es nicht sehen. Sie bemerkt mich, dreht sich um. Erkennt mich.
Das entscheidende Bild: Th.s in Fassungslosigkeit aufgerissene Augen. Ihr Erschrecken, daß ich es bin.

Diadiktyologie

Der Zauber hat lange schon zu wirken begonnen, wenn man ihn endlich merkt. Und wenn man zu ahnen beginnt, wie mächtig der Bann ist, hat er seine Macht voll entfaltet. Diese Weblog-Geschichte ist schon seit einiger Zeit dabei, selbständig zu arbeiten, eigene Kräfte zu entwickeln und die Lenkung zu übernehmen. Wohin geht es? Drei Monate schreibe ich jetzt hier, und schon ist das alles gar nicht mehr wegzudenken. Verwirrend. Es gibt für so etwas kein Vorbild, nichts durch irgendeine Ähnlichkeit Vergleichbares, das auf die Art dieser Beziehungen, dieses Austauschs und Abtastens verwiese. Etwas wirklich Neues scheint da zu entstehen, oder nein, ist schon entstanden, ist schon da und wirkt mit Macht, noch ehe wir es einordnen oder irgend etwas darin voraussehen könnten. Es ist eine völlig neue, sehr ungewohnte, manchmal waghalsige Art, sich zur Welt zu öffnen – und gleichzeitig unverwundbar verschlossen zu bleiben. Vielleicht verstehen wir oft selbst nicht, wie tollkühn das alles ist, weil wir immer im Nebel tappen, und wissen, daß die anderen auch nichts sehen können. Wer hätte unter diesen Bedingungen noch Scheu, sich der Kleider zu entledigen und nackt zu tanzen, und dabei den anderen lautstark zuzurufen, was man gerade tut? Nur die heimliche Angst bleibt und prickelt, es könnte einmal alles auffliegen und der Nebel zerreißen und uns, wie wir gerade nackt tanzen, in hellem Sonnenlicht bloßstellen. Und diese Angst und dieses Prickeln schleichen sich in unsere Träume. (Und wollen wir es nicht manchmal?)
Wir werden Wege finden, dieses Merkwürdige zu prägen, es zu leben, uns darin widerzuspiegeln und wiederzufinden. Dies ist kein Gespräch in irgendeinem schon bekannten Sinn. Dies ist kein Kundgeben des Eigenen, wie wir es aus irgendeiner früheren Welt kennen könnten. Und wenn wir uns voneinander angezogen fühlen, und die andere Stimmen auf einmal ganz nah klingt im Nebel, dann sind diese Nähen keine Freundschaften in irgendeinem ihrer bisher erlebten und mit Namen versehenen Sinne und Weisen. Es ist eine ganz neue, zum ersten Mal geführte und zu führende und auszugestaltende, noch zu formende, noch auszuprägende Form der Beziehung. Aber wie leicht kann man sich, können wir einander und uns selbst täuschen – weil wir ausgerüstet mit alten, in einer anderen Welt erprobten, in einer anderen Welt entwickelten Vorstellungen und Begriffen in diese neuen Beziehungen purzeln.