4

… daß ich einen Blick getan habe in ein fremdes Inneres; und den Sog eines fremden Lebenliebenleidens an mir gespürt habe, als wäre es mein eigenes … so nah. Und doch: je tiefer ich eindringe, desto fremder, ja entrückter wird sie mir. Wird mir dies Lieben und Leiden; so fremd, daß ich glauben muß, selbst nicht so tief und hingabevoll leiden-und-lieben zu können. Es ist nicht so, daß ich mich erkenne, denn wie könnte ich? Es ist, wie wenn man etwas schaut, das heilig ist und deshalb verborgen, und das zu schauen nur dem besonderen Augenblick vorbehalten ist; und das zu schauen wohl nicht verboten, nicht versagt ist, aber auch nicht folgenlos bleiben kann. Die Welt wird nicht mehr so sein wie vorher. Wie ein Blinder, der plötzlich sieht und am Sehen schuldigheilig werden kann. Und so bin ich berührt, ja durchwallt und durchwühlt. Die Stimme dieser Frau spricht in mir fort. Nein, sie spricht nicht, aber ich weiß immer um sie. Sie hat etwas in mich gelegt, und indem sie dies tat, etwas bewegt und umgestoßen. So daß etwas neu ist in mir, … oder neuentdeckt?

Das Gefühl ist weiterhin und nach einem Wochenende lang Glühen und Denken und Schwelgen und Rätseln so fremd, daß die Worte nicht heranreichen; was ich auch denke, es kreist nur darum herum, ohne sein Wesen zu treffen. Alle Vergleiche gehen fehl. Es ist als ob ich verliebt wäre in das bunte Herz … nein. Es ist wie etwas Verbotenes geschaut zu haben … nein. Es ist die Fassungslosigkeit vor so viel Tiefe und so viel schön gesungenem Wort … nein.

Es ist von allem etwas, und nichts ganz.

Manchmal auch stelle ich mir vor, daß diese Schilderungen, daß die Geschichte hinter den wildtraurigen Gesängen gar nicht wahr ist. Vielleicht handelt es sich nur um eine Erfindung, wenngleich eine wunderbare? Wäre das eine Enttäuschung?

Dann wieder will ich diesen Gedanken gar nicht denken. Es soll echt sein. Es soll diese Geschichte, diese Gefühle, diese Trauerwildheit geben.

Als Beweis für die Möglichkeit einer solchen Geschichte?

Ja, ich fühle mich auch ausgeschlossen; nicht von dieser Geschichte, aber von den Geschichten überhaupt, die mir mit einemmal unwählbar vorkommen. Unbeginnbar. Unwollbar. Sie geschehen, aber nicht, weil jemand will, und sie geschehen anderen, nicht mir. Die Stimmen eines Festes am anderen Ufer, dahinfließender Feuerschein im Spiegel des Flusses, Gesang und Gitarrenklänge, die herüberzittern und auf den Wassern treiben, und dies warme, menschenbeherzte Ufer mit dem Gesang und den Stimmen und der Liebe, die dort vielleicht zwischen zwei Menschen beginnt, dies Ufer ist unerreichbar weit. Und das Wasser zu meinen Füßen kalt, und das Schilfgras totendunkel. Hinter mir ist nichts und nicht einmal Schlaf und Traum, und hellwach muß ich hinüberblicken und hinüberlauschen, und starr und aller Brücken entbehrend. Die Frage ist, ob wir unsere eigene Geschichte wählen. Vielleicht nicht. Aber vielleicht ermöglichen? War das nicht schon immer die Frage und das quälende Rätsel? Nichts hat sich geändert. Vielleicht schaue ich einfach nicht mehr hinüber. Vielleicht ziehe ich die Vorhänge zu und drücke mir ein Kopfkissen auf die Ohren und warte, bis das Lichtchen zwischen den Föhrenstämmen verglommen ist und die Stimmen unhörbar weit sind. Manchmal ist der Wind in den Wipfeln ein Trost.

Berührt. So wie der langsam verhallende Klang von Haut auf meiner Haut. So fein wie das Spiegelbild, das ein Blick auf meine Augen legte. Berührt von Worten, die ja gar nicht an mich gerichtet waren, wandele ich, reise ich, bin ich unter Menschengelächter und Menschenwärme. Ich höre und sehe es wohl; doch in mir erklingt eine andere Stimme, und hinter meiner Stirn schaut mich eine an, die ich nicht kenne. Sind wir nicht stundenlang in einem Café gesessen und haben geredet und geredet? Haben sich unsere Hände nicht berührt, miteinander einverstanden, so daß meine Haut noch von deinen Fingern singt?

Nein, du weißt nichts von mir, und hast doch dein Herz mir geöffnet. Berührt bin ich von dir. Ich bin gezeichnet und heilig befleckt. Ich habe dich gesehen, und es ist, als wärest du nackt gewesen, doch verhüllt dein Antlitz, verschlossen dein Auge. Du kennst mich nicht, und bist mir doch gefolgt, überallhin. Tagelang gab es nichts Schöneres, als über dich und dein verhülltes Antlitz und deinen verschlossenen Mund nachzudenken. Verschwendet waren die Stunden ans Menschengelächter, an Speise und Sonnengang und Buch, ja, an die Stimme der Freundin. Lieber wollte ich es dir nachtun, in ein dampfendes Bad gleiten um dort zu-lesen-und-nicht-zu-lesen.

3

Über ihnen stand das Dach der Schwingen offen, griffen die Wipfel voll nadeliger Schwärze in den erleuchteten Himmel, und der Mond stieg eben in den Kreis der Lichtung; und das Licht schwebte nieder und weitete einen Raum aus, darin die Tannen wie silberne Säulen standen, und die Leere zwischen ihnen nicht dunkel, sondern angefüllt war mit leuchtendem Staub, der sich über dem Stromesrauschen sammelte und in die Hallen davonstrebte, wo er dünner wurde und sich endlich ins Dunkel des Waldes verlor.

So warm war es an jenem Teich, im Moos, unter dem Schutz der Büsche, in der Umhüllung der Mondschleier, daß sie der Kleidung entbehren konnten; weiß wie Kiesel, die das Eis rundete, schimmerte die Haut ihrer Leiber, dunkel wölbten sich Schatten in den Höhlungen, wie Edelstein schimmerten ihre Stirnen; und jenes herabfallende Licht, das sich noch aus dem Wasser ihnen wieder entgegenhob, jenes Leuchten, das die Tannenhalle füllte, es legte sich um sie, schmeichelte ihrer Haut und kleidete sie so gut und warm wie Wolle oder Leinen; würzig auch duftete es, tiefte ihren Atem, drang in ihre Poren ein, schlug in ihrem Blut und ließ ihre Schläfen sich weiten. Da schmeckte es bitter und süß zugleich unter der Zunge, so daß sie davon trunken wurden und ihre Augen sich mit fließendem Leuchten füllten. Der Strom indes rauschte und in ihren eigenen Adern widerhallten die Wasser. Moos und Lärchennadeln waren ihnen weiches Lager, und ihre schneeweißen Füße spielten im Becken.

2

Ποικιλόθρον’, ἀθάνατ’ Ἀφρόδιτα,
παῖ Δίος, δολόπλοκε, λίσσομαί σε
μή μ’ ἄσαισι μήτ’ ὀνίαισι δάμνα,
πότνια, θῦμον·

ἀλλὰ τυῖδ’ ἔλθ’, αἴποτα κἀτέρωτα
τᾶς ἔμας αὔδως ἀΐοισα πήλυι
ἒκλυες, πάτρος δὲ δόμον λίποισα
χρύσιον ἦλθες

ἄρμ’ ὐποζεύξαισα· κάλοι δέ σ’ ἆγον
ὤκεες στροῦθοι περὶ γᾶς μελαίνας
πύκνα δινεῦντες πτέρ’ ἀπ’ ὠράνω αἴθε-
ρας διὰ μέσσω.

αἶψα δ’ ἐξίκοντο· τὺ δ’, ὦ μάκαιρα,
μειδιάσαισ’ ἀθανάτῳ προσώπῳ,
ἤρε’, ὄττι δηὖτε πέπονθα κὤττι
δηὖτε κάλημι,
κὤττι μοι μάλιστα θέλω γένεσθαι
μαινόλᾳ θύμῳ· τίνα δηὖτε Πείθω
μαῖς ἄγην ἐς σὰν φιλότατα, τίς σ’, ὦ
Ψάπφ’, ἀδικήει;

καὶ γὰρ αἰ φεύγει, ταχέως διώξει,
αἰ δὲ δῶρα μὴ δέκετ’ ἀλλὰ δώσει,
αἰ δὲ μὴ φίλει, ταχέως φιλήσει
κωὐκ ἐθέλοισα.

ἔλθε μοι καὶ νῦν, χαλεπᾶν δὲ λῦσον
ἐκ μεριμνᾶν, ὄσσα δέ μοι τελέσσαι
θῦμος ἰμέρρει, τέλεσον· σὺ δ’ αὔτα
σύμμαχος ἔσσο.

1

Ποικιλόθρον’, ἀθάνατ’ Ἀφρόδιτα,
παῖ Δίος, δολόπλοκε, λίσσομαί σε
μή μ’ ἄσαισι μήτ’ ὀνίαισι δάμνα,
πότνια, θῦμον·

ἀλλὰ τυῖδ’ ἔλθ’, αἴποτα κἀτέρωτα
τᾶς ἔμας αὔδως ἀΐοισα πήλυι
ἒκλυες, πάτρος δὲ δόμον λίποισα
χρύσιον ἦλθες

ἄρμ’ ὐποζεύξαισα· κάλοι δέ σ’ ἆγον
ὤκεες στροῦθοι περὶ γᾶς μελαίνας
πύκνα δινεῦντες πτέρ’ ἀπ’ ὠράνω αἴθε-
ρας διὰ μέσσω.

αἶψα δ’ ἐξίκοντο· τὺ δ’, ὦ μάκαιρα,
μειδιάσαισ’ ἀθανάτῳ προσώπῳ,
ἤρε’, ὄττι δηὖτε πέπονθα κὤττι
δηὖτε κάλημι,
κὤττι μοι μάλιστα θέλω γένεσθαι
μαινόλᾳ θύμῳ· τίνα δηὖτε Πείθω
μαῖς ἄγην ἐς σὰν φιλότατα, τίς σ’, ὦ
Ψάπφ’, ἀδικήει;

καὶ γὰρ αἰ φεύγει, ταχέως διώξει,
αἰ δὲ δῶρα μὴ δέκετ’ ἀλλὰ δώσει,
αἰ δὲ μὴ φίλει, ταχέως φιλήσει
κωὐκ ἐθέλοισα.

ἔλθε μοι καὶ νῦν, χαλεπᾶν δὲ λῦσον
ἐκ μεριμνᾶν, ὄσσα δέ μοι τελέσσαι
θῦμος ἰμέρρει, τέλεσον· σὺ δ’ αὔτα
σύμμαχος ἔσσο.